Naru: „Ohne den Umzug zurück nach Dortmund wäre ich nur die Kopie einer Kopie geblieben.“

Naru

Mit „Life is a Roadtrip“ legte der Dortmunder Naru vergangenen Freitag sein Major-Debüt vor. Nach Jahren der DIY-Arbeit, über einem halben dutzend Releases und keinem einzigen Interview, wird es Zeit, dass uns der junge MC Rede und Antwort steht. Glücklicherweise verschlägt es ihn Dank regelmäßiger Kollaborationen mit den Hamburgern Kwam.E und Tom Hengst, sowie dem Produzenten Skew regelmäßig in die Hansestadt. An einem sehr warmen Augustabend traf BACKSPIN-Autor Niklas den Dortmunder also im Hamburger Schanzenviertel zum Interview über dessen Biografie, die neue Platte und das frisch gegründete Label Audio Porn.

 

Eigentlich hatten wir uns am frühen Abend im Studio von Skew verabredet. Da das Thermometer aber auch um 18 Uhr noch fast 30 Grad anzeigt, treffe ich Naru dann doch im Freien, direkt vor der Roten Flora im Hamburger Schanzenviertel. Der Protagonist der folgenden Zeilen begrüßt mich mit offenem Hemd über einem weißem Unterhemd, brandneuen, von Travis Scott designten Nike Dunks an den Füßen und einem halb aufgerauchten Joint im Mundwinkel. Die Stimmung ist entsprechend des Wetters sehr gut. Gemeinsam mit Skew, mit dem Naru gerade für eine Woche hier in Hamburg an einer EP arbeitet, und dessen Freundin setzten wir uns auf einen Aperol Spritz in den Außenbereich der berühmten Sofa-Bar einige hundert Meter die Straße runter.

Das Label ist Major, das Team bleibt klein. 

Im Nachhinein muss ich mir eingestehen, dass ich Naru vor unserem Treffen ganz anders eingeschätzt hatte. Die Offenheit und auch die Gelassenheit, mit der Naru alle meine Fragen beantwortet, überrascht mich. Vor allem aber seine durchweg positive Sicht auf die meisten Dinge, sowie auf seine persönliche, aber eben auch die gesellschaftliche Zukunft kommt sehr sympathisch rüber. Wer mit Narus Diskografie, oder auch nur mit dem aktuellen Release vertraut ist, weiß, dass es im Gemüht des 25-jährigen nicht immer nur sonnig aussieht. Auf dem Tape-Highlight „Oxylude“ steigt er ganz nonchalant mit den Worten „Ich liebe es zu Hängen, darum greife ich zum Strick“ in den zweiten Part ein. Aktuell scheinen allerdings – das bestätigt wiederum auch ein Großteil der Songs auf „Life is a Roadtrip“ – die positiven Zeiten zu überwiegen.

Ein Grund, warum es mir im Vorfeld übrigens so schwer fiel, Naru abseits der Musik einzuschätzen, ist die simple Tatsache, dass zu dem Zeitpunkt unseres Treffens noch kein einziges Interview mit ihm existiert. Mittlerweile hat das erste Video-Interview seiner Karriere den Weg zu YouTube gefunden. Vorher sei er einfach noch nicht dazu bereit gewesen, erklärt er mir, während wir auf den Bierbänken vor der Bar Platz nehmen.

Ursprünglich war unser Interview übrigens als Besuch meinerseits in Narus Heimatstadt Dortmund geplant. Spontan fiel dieser Plan allerdings aufgrund von andauernden Dreharbeiten an einem Musikvideo ins Wasser. Allgemein verlief die Planung unseres Gesprächs eher chaotisch. Der Grund dafür ist jedoch in jedem Fall sympathischer Natur. Denn trotz Major-Deal bei Universal hat Naru noch immer keinen professionellen Vollzeit-Manager. Stattdessen koordiniert Vanta, der zudem für einen Großteil der Beats auf „Life is a Roadtrip“ verantwortlich ist und Naru auch als DJ bei seinen Auftritten begleitet, sämtliche Termine.

Naru bleibt Einzelgänger.

Vor dem Gespräch hatte ich mich gefragt, warum das erste große Major-Projekt nun „Life is a Roadtrip“ heißt, wenn es doch vornehmlich in der eigenen Heimat in Dortmund spielt. Als wir uns nun mehr und mehr über Narus Kindheit und Jugend unterhalten, brauche ich die Frage jedoch später gar nicht mehr stellen. Der Roadtrip beginnt nämlich schon, bevor Naru überhaupt auf der Welt ist. Damals verlässt seine Mutter hochschwanger ihre Heimat Thailand und landet in Dortmund. Einige Jahre später ziehen die Beiden in die Vorstadt zu Verwandten. Mittlerweile redet Naru sehr ruhig. Seine Stimme wird auf der Aufnahme, die ich von unserem Gespräch mache, in diesem Teil fast vollständig vom Lärm der vorbeisausenden Autos verschluckt.

Als Hip-Hop-Kind mit dunkler Hautfarbe in einer kleinen Vorstadt im Ruhrpott ist Naru automatisch Außenseiter. Allgemein beschreibt sich der Dortmunder als eher introvertierten Menschen. Er war viel allein unterwegs in seiner Jugend. Schon früh führt sein Weg dann zu Drogen. An unserem Tisch bricht für kurze Zeit heiteres Gelächter aus, als Naru von seinem ersten Joint erzählt. In jugendlicher Naivität hatte er sich damals einfach Backpapier zurechtgeschnitten, um einem Kugelschreiber gewickelt und das ganze dann mit einem Uhu-Klebstift zugeklebt. Der Stift in der Mitte wurde schließlich durch einen Tip und etwas geklautes Gras ersetzt. In Kombination mit dem flüssigen Kleber tat das dem jungen Naru dann gar nicht mal so gut. Mittlerweile raucht er täglich Gras.

Von Goldrogers Keller-Studio zu Live from Earth. 

Als der Stress zuhause irgendwann zu viel wird, zieht Naru dann zu seinem 18. Geburtstag zurück in die Innenstadt von Dortmund. Dort wechselt er auch zum ersten Mal aus der Rolle des reinen Rap-Konsumenten heraus. Kein geringerer als Goldroger lud ihn damals nach einer Party in dessen rudimentäres Studio im Keller eines Kulturcafés ein. Sichtlich nostalgisch denkt Naru an diese Zeit zurück: „Noch bevor Goldroger Goldroger war, habe ich mit dem connected. In der Gerümpelkammer vom Jugendcafé hatten die ein Studio. Das war so richtig rough. Ganz hinten Stand ein Monitor und ein Mic. Das war richtig Hip-Hop, alter. Da habe ich das erste Mal gesehen, wie Leute Hip-Hop machen. Das fand ich derbe cool.“

 

Zu dieser Zeit lief in Narus Rotation vor allem amerikanische Musik, natürlich auch „Get Rich or Die Trying“ von 50 Cent. Die ersten Texte entstehen deswegen auf Englisch. Nach kurzer Zeit wechselt Naru aber direkt in seine Muttersprache. Schreiben konnte er sowieso schon immer gut. „In Deutsch hatte ich immer ne Eins,“ lacht Naru. Seine erste Maxi-CD hatte allerdings den Namen Raptile auf dem Cover. Mit einem Lachen erinnert sich Naru daran, sie nur wegen dessen Umzug in die USA gekauft zu haben. Als wir etwas später über Begriffe wie Heimat und Berlin reden, wird Naru sagen, dass auch er nicht zwingend in Deutschland bleiben will.

Coco Reynolds wird zu Naru.

Während Naru also mit Unterstützung von Goldroger die ersten Singles aufnimmt und unter dem Alias Coco Reynolds eine erste EP ins Internet lädt, gerät sein Leben abseits der Musik immer mehr aus den Fugen. „Ich bin zu einem Freund in die WG gezogen und bin dann noch mehr zu Drogen gekommen. Ich hab dann angefangen Drogen zu nehmen, um mich von meinen Kopfficks abzulenken, bis das dann irgendwann gar nicht mehr klar ging.“ Als ihm sein Umfeld in Dortmund zu viel wird, bringt ihn ein glücklicher Zufall in die Hauptstadt.

2017 spielt Caramelo, der aus dem nahegelegenen Bielefeld kommt und mit dem Naru schon länger befreundet ist, in Essen bei der Club Tour von Live From Earth. Da der Dortmunder an dem Abend Geburtstag feiert, holt Caramelo ihn sozusagen als Geschenk mit auf die Bühne. Lex Lugner, der den Abend hostet, ist begeistert und will mit Naru arbeiten. Kurze Zeit später findet schon der Umzug nach Berlin und das Signing bei Live From Earth, die mit Rin, Yung Hurn und Lgoony die wohl gehyptesten deutschen Künstler der Jahre 2015-17 unter Vertrag haben, statt.

„Brr Brr“ wird zum Szene-Hit. 

Sein LFE-Debüt „Rudeboi“ ist da schon fast fertig. Das Gerüst der Platte, das in Dortmund mit Vanta entstanden ist, wird noch um ein Paar Lex Lugner-Produktionen erweitert und sorgt für erste Aufmerksamkeit innerhalb der deutschen Szene. Schon hier fällt auf, wie leichtfüssig Naru über die amerikanisch angehauchten Trap-Beats flowt. Man hört ihm allerdings auch an, dass früher mal ein Sicht-Exot-Pullover in seinem Kleiderschrank hing. Auf der anderen Seite wird sein Faible für die absurdesten Adlips und extrem nervöse Produktionen mehr als deutlich. „Brr Brr“, die erste Single aus seinem zweiten LFE-Tape, das nur acht Monate nach „Rudeboi“ erscheint, manifestiert schließlich Narus etwas zweifelhaften Ruf als der „deutscher Playboi Carti“.

 

Wirklich ernst nehmen kann der mittlerweile 25-jährige diesen Vergleich heutzutage nicht mehr. Dafür ist er sich der künstlerischen Einzigartigkeit seiner Musik zu bewusst. Irgendwie schmeichelt es ihm dann sogar, mit amerikanischen Idolen verglichen zu werden. Wegen solchen habe er schließlich angefangen zu rappen. Am Ende ist diese Antwort ein weiteres Beispiel für Narus einnehmende Art, Vieles erst einmal positiv aufzufassen, anstatt das Negative zu betonen, wie das heutzutage nur allzu gern gemacht wird.

Einem produktiven Jahr folgt ein verschwendetes. 

Dem sehr produktiven Jahr 2018 mit gleich zwei Mixtapes folgt ein wie Naru selbst sagt „verschwendetes 2019“. Dass er in dem ganzen Jahr nur eine Single gedropt hat, stört ihn bis heute. Was 2019 falsch lief? Zum einen passierte in der Hauptstadt allmählich Ähnliches, was Naru zwei Jahre zuvor schon zur Flucht aus Dortmund getrieben hatte. „Ich habe in Berlin schon sehr schnell gelebt,“ sagt er vielsagend dazu. Wenn man von außen drauf schaut, könnte man jedoch meinen dieses vermeidlich verschwendete Jahr hat Naru im Endeffekt sowohl persönlich, als auch musikalisch nochmal deutlich nach vorn gebracht. „Ich bin sehr dankbar, dass die Erkenntnis gekommen ist, zurück nach Dortmund zu gehen. Wenn das nicht passiert wäre, wäre ich jetzt glaube ich nur eine Kopie von einer Kopie,“ bilanziert er.

Hinzu kommt, dass sich Live From Earth mehr und mehr zu einem Label für Instrumentale-Klubmusik wandelt. Die einstigen Szene-Stars Rin und Yung Hurn sind längst über die DIY-Strukturen hinausgewachsen. Nachdem das Label zunächst nur ein Sublabel für elektronische Musik gründen wollte, fließt nach und nach sämtliche kreative Energie des Labels dort hinein. Dennoch endet Narus LFE-Zeit im Positiven, wie dieser betont. Am Ende verschaffen ihm die LFE-Macher nämlich noch seinen ersten Auftritt auf dem Splash. In einem kurzen, ungehaltenen Moment der Nostalgie überschätzt Naru die Zuschauerzahl seines Auftritts dann mal eben um das Doppelte, korrigiert sich schließlich aber sofort selbst wieder nach unten.

Von Dortmund nach Berlin zurück nach Dortmund.

Als in Berlin dann auch sein zur Zwischenmiete befristeter Mietvertrag ausläuft, geht er zurück nach Dortmund. An dem Mixtape, was schlussendlich vor zwei Wochen erschienen ist, arbeitet der jetzt-wieder-Dortmunder zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr. Neben dem langjährigen Gefährten Vanta gehört dieses Mal auch KazOnDaBeat, der schon für BHZ und die 102Boys produziert hat, zum Kernteam hinter den Beats. Auch Gus, der sich für Enos Hit „Mercedes“ verantwortlich zeigt, und Mathistypebeats, der schon für das „Surreal“-Mixtape zwei Beats beisteuerte, finden sich in den Producer-Credits von „Life is a Roadtrip“ wieder.

Als das Tape im Frühjahr 2020 immer mehr an Formen annimmt, fehlt nur noch das passende Label. Naru, der schon immer am Liebsten mit Freunden arbeitet und eigentlich eher auf der Independent-Typ ist, will was Eigenes gründen. Die logische Folge nennt sich Audio Porn, das eigene Label von Naru, Vanta und Antemillio, der vor allem als Fotograf und Musikvideo-Macher in Erscheinung tritt. Für „LIAR“ konnte das Team allerdings doch noch professionelle Strukturen abgreifen und hat jetzt einen Deal bei Universal. Seinen jetzigen A&R hat Naru übrigens auf dem Splash, nach seinem letzten Auftritt für Live from Earth, kennengelernt.

Warum eigentlich Audio Porn

Wer sich nun fragt, warum das Label den Namen Audio Porn trägt, sollte sich einfach mal eingängiger mit Narus Texten befassen. Nicht selten wagt dieser nämlich den schwierigen Spagat der detailgenauen Beschreibung des Geschlechtsakts. Ab und zu schlägt dabei auch mal eine Zeile über die Stränge, in der Regel meistert der 25-jährige diesen Balanceakt allerdings erstaunlich frei von Fremdscham. Auch vollbringt er das Kunststück „TikTok“ auf „Hip-Hop“ zu reimen, ohne dabei peinlich zu wirken. Allgemein macht Narus Rapstil vor allem dessen Leichtigkeit aus. Seine Stimme passt sich meist dem Beat an und überfährt diesen nicht einfach. Vielmehr gehen Vocals und Beat Hand in Hand. Die Adlips schweißen Beides als Bindeglied fest zusammen. Anders formuliert: Es klingt wie aus einem Guss. Ich möchte deshalb wissen, ob Naru viel freestylet. Er verneint zwar, sagt jedoch, dass er Texte meist lediglich eine halbe Stunde vor der Aufnahme schreibt.

 

Allgemein hat „Life is a Roadtrip“ gegenüber Narus 2018er Mixtapes nochmal ein deutliches Stück zugelegt, was die Qualität von Produktionen, Aufnahmen, Mix und Master angeht. „Sich Mischen können, damit du weißt ‚Das ist genau mein Sound, wie ich den haben will‘, das ist sehr wichtig,“ gibt Naru zu Protokoll. Deshalb haben sie sich den Engineer Heaveninstereo mit ins Boot geholt. Der Amerikaner, der mittlerweile in Berlin sein zuhause gefunden hat, bastelt normalerweise an Aufnahmen von Yung Hurn oder tobi lou und Chynna aus den USA herum. Der Impact ist hörbar.

Naru macht keine Pausen mehr. 

Als wir nach einer guten Stunde intensiven Quatschens über Vergangenes, aber auch Musik im Allgemeinen vor der Sofabar von unseren Bierbänken aufstehen, fällt Naru direkt auf, wie die Mischung aus den immer noch sehr hohen Temperaturen und dem Aperol bereits in seinem Kopf angekommen ist. Es wird sogleich nach Nachschub gesucht, während Skew laut überlegt, ob man nun mit Taxi oder doch mit dem Bus zum Studio nach Bahrenfeld fahren soll. Nach einem kurzen Fussweg trennen sich schließlich unsere Wege auf dem Schulterblatt und ich schaue mir wenige Stunden später auf Instagram Videos und erste Hörproben aus dem Studio an. Die offensichtliche Stimmung: positive Vibes.