Wenn über die Blaupausen der jüngeren deutschen Hip-Hop-Geschichte gesprochen wird, fallen nicht selten die Namen Casper und Marteria, die mit ihren Alben “XOXO” (2011) bzw. “Zum Glück in die Zukunft” (2010) die 2010er-Jahre gebührend einleiten und entscheidend prägen sollten. In diesem Kontext wird auch öfters “Raop” von Cro genannt, der trotz eines Altersunterschieds von acht Jahren zu den vorhergenannten “Revolutionären” zur selben Generation dazugezählt wird, die mit einer erfrischenden Andersartigkeit und Unverkrampfheit unter Beweise stellte, dass Deutschrap auch anders klangen als die 0815-Konsorten zuvor (Ausnahmen bestätigen, wie so oft, die Regel). Gitarrenriffs hier, poppige Hooks da – den berühmten Fick auf Konventionen gebend, machte sich dieses Trio daran, peu á peu die jeweils nächstmögliche Stufe auf der Karriereleiter zu erklimmen.
Doch war da nicht schon vorher etwas? Etwas, das so anders wie gut klang und das sich ebenfalls nicht in ein musikalisches Korsett stecken lassen wollte? Etwas, das so überraschend daherkam, wie es auch wieder verschwand? Fragen über Fragen, die recht einfach zu beantworten sind: Ja, ja und ja! Die Rede ist von Peter Fox’ “Stadtaffe“-Album, das so raketenhaft durchstartete, wie es wohl kein Experte zu prognostizieren vermocht hätte. Zuvor war Pierre Baigorry, so der bürgerliche Name des Musikers, vor allem als Mitglied der Dancehall- und Reggae-Musikgruppe Seeed in Erscheinung getreten, mit der er die großen Hallen des Landes bespielte. Im September 2008 sollte jedoch das Debütalbum des Berliners erscheinen – und alles andere als enttäuschen.
Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums von “Stadtaffe” blickt unser Autor Yannick H. auf ein Werk zurück, das sich so facettenreich präsentiert, dass es bis heute einer Sisyphusarbeit gleichkommt, ein Genre zu finden, in dem das Album einzuordnen ist.
Ursprünglich war es gar nicht die Intention von Baigorry gewesen, ein eigenes Soloalbum aufzunehmen. Geplant war, ein Album für Cee-Lo Green zu produzieren, der jedoch durch den “Crazy“-Erfolg seines gemeinsam mit Danger Mouse gestartetem Projekts Gnarls Barkley nicht mehr abkömmlich war. In Ermangelung einer für gut befundenen Alternative greift Peter Fox selbst zum Mic und lässt eine musikalische Auseinandersetzung mit seiner Heimat folgen, die geschickt zwischen Be- und Entschleunigung zu variieren weiß. Denn mit Berlin verbindet den Sohn eines Deutschen und einer französischen Baskin eine Hassliebe par excellence, die in all ihren Elementen vom Seeed-Frontmann beleuchet wird. Ob der Altersruhesitz am Wasser oder die nächtliche Szenerie am Kottbusser Tor – der zum Veröffentlichungszeitpunkt von “Stadtaffe” 37-jährige lotet die Extreme aus. Doch der Reihe nach.
In Zusammenarbeit mit dem Produzententeam The Krauts, im Hip-Hop-Kosmos u.a. bekannt für ihre Produktionen für Marteria, dessen Alter Ego Marsimoto oder Die Fantastischen Vier, entstehen 12 Tracks, die sich irgendwo zwischen Dancehall, Klassik und Rap bewegen und von Peter Fox selbst schlicht als Pop kategorisiert werden. Mit Opener “Alles neu” erfährt “Stadtaffe” einen sehr dynamischen Beginn, der Protagonist verbrennt sein Studio und schnupft die Asche wie Koks. Keine Abrechnung mit dem vorherigen Musikerleben, wie der Sänger und Produzent gegenüber laut.de verrät, sondern das Bedürfnis, “etwas Neues anzufangen und etwas Altes radikal zu zerstören“. Eine Hintertür bleibt dabei stets offen: “Das heißt aber nicht, dass ich das Alte ablehne oder nie dahin zurückkehren möchte“. Ad acta wurde hingegen der Arbeitstitel “Hunde, Tauben und Stadtaffen” gelegt, der ein Resultat “aus den Themen der Songs” und dem simplen Fakt, “dass die Wörter Hunde und Tauben immer wieder aufgetaucht sind“, darstellte, so Peter Fox.
Auf “Alles neu” folgt alles wie gehabt – zumindest von der in “Schwarz zu blau” beschriebenen Situation ausgehend. Der auch unter den Pseudonymen Enuff und Pete Fox bekannte Baigorry nimmt den Hörer mit auf seinen Heimweg, der einer ausschweifenden Nacht folgt, und beschreibt detailverliebt die überwiegend negativen Seiten Berlins. Verwesende Schnapsleichen, “Kotze am Kotti“, gewalttätige Auseinandersetzungen, auf den Straßen verteilte Exkremente, aber auch ein Hooligan, der in den Armen einer Frau Trost findet – der Ex-Klavierbauer seziert seine Umgebung und damit den alltäglichen Wahnsinn ganz genau. Und spricht im darauffolgenden “Haus am See” bereits vom Dasein eines Rentners, der seinen Lebensabend in der Hauptstadt frönt. Die Unzertrennlichkeit zur Hassliebe wird umso expliziter, wenn es heißt “Hier bin ich geboren, hier werd ich begraben“.
Neben dem titelgebenden Motiv des Affen, das sowohl lyrisch als auch in visuellen Umsetzungen aufgegriffen wird, haben viele Songs Peter Fox’ Wohnort zum Thema. Beschriebene Beobachtungen und Problematiken lassen sich aber auch auf andere Großstädte projizieren und werden exemplarisch an Berlin abgearbeitet. Der Albumtitel “Stadtaffe” bezieht sich laut Baigorry auf Menschen, die “nicht mehr Teenie, aber immer noch mehr jung als alt” seien und sich “oft ganz schön affig” benehmen würden. Dieses affige Benehmen wird nicht zuletzt im Titeltrack behandelt, der in der Hook mit der Line “Alles is‘ bunt, laut und blinkt / Stadt voller Affen is‘ voll und stinkt” aufwartet. Wilde Exzesse und schillernde Gestalten, aber auch “Menschen, die vom Lärm genervt sind, aber selber Krach machen” – all dies fällt unter die “Stadtaffen“-Definition eines Mannes, der sich augrund seiner Affinität zum “Dicken B” selbst als “Großstadtaffe” bezeichnet.
Faktoren, die “Stadtaffe” zu einem Erfolg machen, lassen sich viele finden. Ob das Engagement des Filmorchesters Babelsberg, dessen Streicher nonstop zu brillieren wissen, die sich gut in das Gesamtkonzept einfügenden Feature-Gäste – die damals noch nicht im Feuilleton stattfindenden K.I.Z. und die deutsch-amerikanische Sängerin Vanessa Mason – oder ganz generell die Lässigkeit und Unaufgeregtheit, mit der Peter Fox entgegen von Titeln wie “Kopf verloren” oder “Lok auf 2 Beinen” wie der personifizierte Ruhepol wirkt – die Liste ist lang. Fast konsequent erscheint es da, nach zahlreichen Auszeichnungen und einer ausgedehnten Tournee mit dem viermaligen Höhepunkt Wuhlheide per schlichter Pressemitteilung zu erklären, dass die Solokarriere zu Ende ist. Auch im größten Trubel um seine Person hat dieser Pierre Baigorry stets betont, “dass beruflicher Erfolg zwar sehr schön ist, aber nicht per se glücklich macht”. Worte, die bei ihm so einfach über die Lippen gehen, dass man gar nicht zu glauben vermag, dass es sich um denselben Mann handelt, der im Titeltrack zum Besten gab: “Mit meiner Affenpower zelebrier ich Gassenhauer“.
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