Tyler, the Creator „Cherry Bomb“

tylerthecreator_cherry_bomb_cover_505Plötzlich explodierte die „Cherry Bomb“. Der Knall kam unerwartet, denn wie schon bei den Kollegen Kendrick Lamar und Earl Sweatshirt tauchte auch Tyler, the Creators neues Album ohne Vorwarnung im Internet auf. Das zweite große Release aus dem Hause Odd Future binnen kürzester Zeit. Schnell werden Erinnerungen an anarchische Tumblr-Blog-Tage mit Bergen an neuer Musik, geschaffen von verrückten Kids in viel zu weiten Supreme-Shirts, klarer und klarer. Cut. Wir leben nicht in 2009 und „Cherry Bomb“ ist nicht „Bastard“. Doch was ist es stattdessen?

Definitiv ist es das zugänglichste Taylor-Album bisher geworden, wobei „zugänglich“ hier weiterhin als Synonym für sperrig anzusehen ist. Diese Sperrigkeit bricht allerdings immer wieder auf. Von einem auf den anderen Moment wird der düstere Unterboten in ein gleißendes Licht getaucht, es wird warm, fast zu warm und die Bomben-Salven verschwinden im Hintergrund. Plötzlich findet man sich im Neo-Soul-Stück „Find Your Wings“ wieder; Kali Uschis singt, Tyler singt und alles wirkt so gelassen, als wären all die negativen Emotionen vergangener Tage wie weggeblasen. Dann Dunkelheit. Der Hauptteil des Albums lässt süßliche Synthesizer und einige weitere melodiöse Elemente zwar zu, wird jedoch getragen von wiederkehrender Dissonanz. Reibeisen-Bässe unterlegen eine Reibeisenstimme. Drums sind so holprig, dass es schwer ist, das Gleichgewicht zu halten. Und irgendwann sieht man sich konfrontiert mit einer stinkenden, übersteuerten Lärmblase, die auf einen zu rast und ein wenig an Death Grips erinnert. Die gebündelte Aggression, die Tylers Musik schon immer ausmachte.

In dieser Blase enthalten sind auch all die kompromisslosen Erzählungen. Immer noch werden Frauen alles andere als gut behandelt. Zu sagen haben sie, wenn Tyler seinen Willen hat, ohnehin nicht viel. Auch nicht, wenn er mit Gespielin auf dem Beifahrersitz die Geschwindigkeitsbegrenzung lachend ignoriert und sich lieber auf einen Höllentrip begibt. Einwände von der Seite? Unwichtig. Es geht weiterhin um das Austesten von Grenzen, so viel ist klar und das hätte man sich in manchen Fällen sparen können. An anderer Stelle blitzt allerdings die sensible Seite hervor. Immer wieder wird das Motiv des Fliegens aufgegriffen – eine Sehnsucht nach der Flucht aus dem Alltag macht sich breit. Einfach fortfliegen. „Cause I’m in first class but I feel like coach“ heißt es auf „Pilot“. Der gesteigerte Bekanntheitsgrad hat eben nicht nur seine guten Seiten und man kann sich den frustrierten Tyler regelrecht vorstellen, dem die ganze Aufmerksamkeit ziemlich ankotzt. Was Gutes bringt Status allerdings: Kanye West, Lil Wayne und Schoolboy Q geben sich die Ehre und … liefern ab.

Das Ende des Albums ist dann wie das sanfte Erwachen aus einem irren Traum. Verschwitzt, verwirrt, fertig aber gleichzeitig mit dem befriedigenden Gefühl, gerade etwas Spannendes erlebt zu haben. Das vorangegangene Wechselspiel zwischen Noise und Melodie sorgte für eine kleine Portion Pop. Eine sehr kleine Portion. Schwere Kost bleibt „Cherry Bomb“ dennoch und Tyler sich somit treu – zum Glück.

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Eigentlich wollte Johann gar nicht mehr so viel über HipHop schreiben, weil ihn mangelnde Qualität einiger gehypeter Alben und kindische Streitereien zu sehr auf die Nerven gehen. Doch über Probleme soll man bekanntlich reden. Jetzt schreibt er genau darüber eine Kolumne für BACKSPIN und auch weiterhin Meinungsartikel zu Musik. Ansonsten hängt er in Berlin rum, bricht Studiengänge ab, fängt neue an und schreibt als freier Autor unter anderem für Juice, Vice, taz. und Süddeutsche Zeitung.
Razer

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