Interview mit Takt32 u.a. über Kunst, Zugezogene und Ami-Rap

Im Gegensatz zu vielen Musikerkollegen ist Takt32 schon immer mehrgleisig unterwegs. Früher sorgte er mit seinen Freunden gerne mal dafür, dass seine Umwelt ein bisschen bunter wurde und war parallel dazu als Leistungssportler aktiv. Er lebte in Berlin, Paris und im US-amerikanischen St. Louis und hat auch eine deutsche Universität schon von innen gesehen. Parallel zu all diesen Aktivitäten und den unterschiedlichen Wohnorten, gab es jedoch immer eine Konstante: Rap. Nach einigen erfolgreich gewonnenen Battles bei Rap Am Mittwoch und seiner „Overkill“ EP vom letzten Jahr, folgt jetzt als logische Konsequenz das Debütalbum „GANG. Darum trafen wir uns mit ihm in Berlin, um über seine nicht gesellschaftskonforme Kunst, Leistungssport und den Wandel im US-Rap zu sprechen.

Was macht dich zum Problem?
Vor allem, dass ich in bestimmten Teilbereichen meines Lebens nicht gesellschaftskonform bin. Natürlich bin ich zur Schule gegangen und zahle meine Steuern, aber es gibt auch viele Teilbereiche, in denen ich nicht mit der gesellschaftlichen Norm übereinstimme. Sei es meine Vorstellung von Kunst, sei es meine Art der Wortwahl in der Kunst oder sei es mein Auftreten.

Inwiefern unterscheidet sich deine Einstellung zur Kunst von der Norm, die es bei Kunst so eigentlich nicht gibt?
Das stimmt natürlich. Aber es gibt gesellschaftlich anerkannte Kunst. Graffiti ist, was den illegalen Weg betrifft, allerdings nicht als Kunst angesehen, sondern wird als Sachbeschädigung geahndet. Das ist zum Beispiel etwas, was ich nicht so sehe. Das direkte Ansprechen von Problemen mit einer härteren Sprache wird von der Gesellschaft auch nicht akzeptiert. Jedenfalls nicht in der Form, wie wir es machen. Dann hört man lieber einen reinen Pop-Song, der alles schön redet. Deshalb bin ich in der Art und Weise auch gerne das Problem.

Du bist also Stolz auf deine Antihaltung?
Stolz ist eine schwierige Frage. Man kann ohnehin nur stolz auf etwas sein, was man selber geschaffen hat, oder auf Handlungen, an denen man teilgenommen hat. Aber bei mir heißt es „Stolz das Problem zu sein“, weil es das ist, was ich verkörpere. Deshalb sage ich auch nicht: „Jeder von denen ist Stolz, das Problem zu sein“. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich kann auch nicht stolz auf jemand anderen sein. Das geht in meiner Welt leider nicht.

In den letzten Jahren hast du in verschiedene Sachen viel zeit investiert. Schwimmen, Wasserball, Graffiti und jetzt kommt dein erstes Album. Ist die Musik der Teil deiner Persönlichkeit, der sich momentan in den Vordergrund drängt?
Sport ist für mich bis zu einem gewissen Punkt eine Auslastung gewesen, um dem Körper etwas zu bieten. Wenn du die ganze Zeit nur den Kopf arbeiten lässt, dann reicht das nicht aus. Ich habe das schon von klein auf gemerkt, war im Sportkindergarten und bin danach zur Sportschule gegangen. Schwimmen und später Wasserball, waren immer etwas für mich, weil ich diesen Teamsport-Charakter mag. Ich arbeite gerne mit anderen Menschen zusammen und würde mich als soziales Wesen bezeichnen. Musik war währenddessen immer ein Teil davon. Diese Seite von mir habe ich zwar nie so extrovertiert ausgelebt, wie ich es jetzt mache, aber es hat immer eine Rolle gespielt. Der Sport hat manchmal gewechselt, Rap war dagegen von Anfang an genau mein Ding. Das heißt, die Musik ist die Spitze dieser Selbstfindungs-Pyramide. Nur noch darüber will ich mich entwickeln und geistig weiterbilden.

Ein anderer Teil von dir ist deine Rolle als Moderator bei Berlin Music TV. Ist es angenehm jetzt vermehrt auf der anderen Seite des Tischs zu sitzen?
Man hat sich natürlich immer vorgestellt, wie das so ist. Ich arbeite jetzt aber seit fast einem Jahr nicht mehr als Moderator. Es war damals ein cooler Nebenjob, denn ich habe vorher zweieinhalb Jahre im Supermarkt gearbeitet. Tetrapacks zu stapeln ging mir aber irgendwann auf die Eier. Das Interessante war, dass man viel daraus gelernt hat. Wie verhalten sich die Künstler? Wie antworten sie auf die und die Fragen? Was kommt gut an? Die Erfahrung ist natürlich gut, wenn man jetzt selber eine Promophase durchlebt. Man wird nicht ins kalte Wasser gestoßen. Auf der anderen Seite zu sitzen macht jetzt auf jeden Fall Spaß. Wenn die Leute an einem interessiert sind und man was erzählen kann, ist es immer schön.

Analysierst du die fragenden Journalisten?
Definitiv. Aber das mache ich prinzipiell mit jedem. Ich bin ein krasser Analytiker.

Graffiti ist ein Thema, was in deiner Jugend eine wichtige Rolle gespielt zu haben scheint und jetzt ein großer Bestandteil deiner Musik ist.
Ich selbst war nie der krasseste Sprüher und habe das vor allem gemacht, weil die ganzen Jungs um mich herum etwas mit Graffiti zu tun hatten. Es brauchte meistens jemand einen Checker oder jemanden zum Dosenklauen und Fill Ins Machen. Da bin ich immer ganz gerne mitgekommen. Es ging mir um das Gemeinschaftsgefühl dahinter. Du musst dich einfach auf den anderen verlassen können. Dieses Gefühl gibt dir die Musik zwar in gewisser Weise auch, weil du dich als Teil einer Kultur fühlst. Aber die Graffiti-Szene bringt das auf einer menschlichen Ebene noch mal viel direkter. In der Musik spielt es jetzt eine so große Rolle, weil ich es persönlich mag, die Lebensrealität von Künstlern kennenzulernen und das auch auf mein Schaffen übertrage. Die deskriptive Realität finde ich viel spannender, als so eine belehrende Zeigefingermentalität an den Tag zu legen.

Du sprachst zu Anfang des Interviews von Graffiti als gesellschaftlich nicht anerkannter Kunstform. Was macht Graffiti für dich zur Kunst?
Natürlich ist nicht jedes Graffiti gleich Kunst und es laufen auch unglaubliche Toys herum. Aber gut gemachte Graffiti sind für mich vom Ästhetischen und Grafischen her Kunst. Dann geht es natürlich auch um Farbverständnis. Die Jungs, die ich kenne, sind darin richtige Brains und haben vermutlich ein besseres Farbverständnis als irgendwelche Studenten an der Universität der Künste. Auf der anderen Seite geht es um die kreative Kombination von geometrischen Formen – hier muss ein Schwung rein, dort eine Kante. Außerdem birgt Graffiti für mich was Politisches. Dieser Ausruf: “Wir sitzen zwar im Käfig, aber malen uns den wenigstens bunt!“ Diese rebellische Mentalität von Leuten, die in unserer Gesellschaft sonst vielleicht kein Gehör bekommen würden, finde ich wichtig.

Auch in der Rap-Szene scheint Graffiti wieder ein höheres Ansehen zu genießen. Zuletzt wurde in einem Musikvideo von Prinz Porno zum Beispiel ein Zug bemalt und jetzt auch im Video zu deinem Track „Einer von uns“. Was denkst du, woher das kommt?
Zum einen muss man dafür einen gewissen Mut aufbringen. Dadurch steckt eine Anerkennung dahinter. Außerdem ist es gesellschaftlich verwertbarer, als Leute abzuziehen, Kokain zu nehmen und rumzupöbeln. Klar habe ich auch Leute um mich herum, die so was machen, aber ist das wirklich cool? Vielleicht zieht jemand als Nächstes dich selbst oder deinen besten Freund ab. Außerdem gehört da auch nichts dazu. Um jemanden abzuziehen, reicht es aus einen Kopf größer zu sein. Graffiti ist dagegen etwas, das nicht jeder beherrscht.

Die Zugangsvoraussetzungen für Rap sind deiner Meinung nach dagegen nicht sonderlich hoch, hast du mal behauptet.
Ich meinte damit, dass du dir nur ein Mikrofon kaufen musst, bei deinem Computer auf Rec drückst und auf einen heruntergeladenen Beat rappen kannst. Oder du gehst zu Rap Am Mittwoch, stellst dich auf die Bühne und battlest. Alles, was du mitbringen musst, ist dann einen geraden Satz sprechen zu können und im Takt zu bleiben. Das ist vielleicht nicht unfassbar leicht, aber im Gegensatz zu Graffiti oder Breakdance doch deutlich einfacher. Dort muss man von Anfang an viel mehr können, um wirklich reinzukommen. Ab einem bestimmten Level, das nicht mehr jeder erreicht, wird Rap aber schnell zur anspruchsvollen Kunstform.

2012 hast du bei Facebook gepostet, dass US-Rap durch Macklemore und Ryan Lewis endlich wieder zurück ist. Dieses Jahr kam zum Beispiel schon die viel gelobte Kendrick Lamar Platte und auch dein neues Album hat eine amerikanische Soundästhetik. Bist du mit US-Rap in 2015 wieder im Reinen?
Eine Zeit lang hat es den Eindruck gemacht, dass Rap aus den USA noch mehr in die kommerzielle Richtung gibt. Frei nach dem Motto: „Wir machen nur noch das, was sich verkauft.“ Die gesellschaftlichen Umstände, die in den USA gerade herrschen, haben Hip-Hop wieder die Tür dazu geöffnet, das zu sein, was es eigentlich ist. Ein Spiegel der Gesellschaft und keiner von der Musikindustrie geschaffenen Realität. Das J. Cole-Album war zum Beispiel eine Sache, bei der mir das Herz aufgegangen ist. Es hat bewiesen, dass man genreübergreifende Sachen machen kann, ohne seinen Arsch zu verkaufen. Was ich am US-Rap auch lange Zeit geschätzt habe, war, dass es nicht nur um Technik und Wortwahl ging, sondern vor allem um das zu vermittelnde Gefühl.

Ist der Anspruch daran, Gefühle zu vermitteln eine Zeit lang verloren gegangen?
Genau. Deswegen hat mich der „Otherside“ Track von Macklemore auch sehr geflasht, auf dem er seine Codein-Sucht verarbeitet. Auch, weil er es geschafft hat, sein Ding independent durchzuziehen. Ich finde nicht, dass sich seine Musik dem Mainstream angebiedert hat. Macklemore ist also nicht direkt Mainstream geworden, sondern der Mainstream ist auf seinen Zug aufgesprungen. Meiner Meinung nach hat er das Authentische zurückgebracht, obwohl er mittlerweile auch relativ viel in dieser Prominenten-Plastikwelt verkehrt.

Deutschrap bekommt auf deinem Album immer wieder Seitenhiebe ab. Vor allem auf einige zugezogenen Berliner Rapper scheinst du nicht gut zu sprechen zu sein. Was stört dich?
Ich habe kein Problem mit Zugezogenen. Ich habe viele Freunde, die zugezogen sind. Aber … (lacht)
Spaß, es hat nichts mit „Aber“ zutun und es hat auch nichts mit Zugezogenen zutun. Das Problem was ich mit den Künstlern habe, ist dieses Plastische. Warum versuchen Leute etwas zu verkörpern, was sie gar nicht sind? Warum stellt sich jemand hin und sagt er ist Neukölln, obwohl er erst vor zwei Jahren hierhergezogen ist? Wenn du jemanden fragst, der im Neukölln von früher mit Perspektiv- und Arbeitslosigkeit aufgewachsen ist, wird er einen Teufel tun, das zu glorifizieren. Was soll das also? Die Musik, die er macht ist doch cool, aber warum rappt er nicht einfach darüber, dass er aus Göttingen kommt. Ist daran irgendwas schlimm? Ich sag auch nicht, dass ich ein St. Louis-Gangbanger bin, nur weil ich da mal vier Jahre gelebt habe.

Vermutlich funktionieren diese Themen besser, als über den Kleinstadtalltag zu sprechen.
Und genau dann wird es für mich kalkuliert und plastisch. Aber das hat prinzipiell erst mal nichts damit zutun, zugezogen zu sein. Jumpa, der viel für mich produziert hat, kommt ursprünglich auch nicht von hier. Aber ich liebe den Typen. Oder Zugezogen Maskulin. Die sind großartig. Was mich stört, sind Leute, die versuchen etwas darzustellen, was sie nicht sind.

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Eigentlich wollte Johann gar nicht mehr so viel über HipHop schreiben, weil ihn mangelnde Qualität einiger gehypeter Alben und kindische Streitereien zu sehr auf die Nerven gehen. Doch über Probleme soll man bekanntlich reden. Jetzt schreibt er genau darüber eine Kolumne für BACKSPIN und auch weiterhin Meinungsartikel zu Musik. Ansonsten hängt er in Berlin rum, bricht Studiengänge ab, fängt neue an und schreibt als freier Autor unter anderem für Juice, Vice, taz. und Süddeutsche Zeitung.
Razer

Erzähl Digger, erzähl

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