Bereits damals sind die beiden so sehr von sich und ihrer musikalischen Qualität überzeugt, dass es schon fast untertrieben wäre, die beiden überheblich zu nennen. Doch in den Folgejahren soll sich zeigen, dass sie Recht behalten sollten: 2012 erfolgt der Deal mit Selfmade Records: Eines von Deutschlands erfolgreichsten Independent Labels. Mit dem nächsten Release „Voodoozirkus“ pendeln Genetikk noch zwischen szeneinternem Geheimtipp und dem nächsten großen Ding. Die Fanbase der beiden Maskierten aus Saarbrücken wächst und wächst – 2013 erscheint mit „D.N.A.“, das für „Da Neckbreaker Aliens“ steht und unmissverständlich den angestrebten Sound erklärt, das mittlerweile dritte Album und spätestens jetzt wird der Deutschrapszene zumindest in etwa klar, was dort auf sie zukommt: Das Album steigt direkt auf Platz 1 der deutschen Charts ein und verkauft sich deutschlandweit mehr als 80.000 Mal.
Logisch dass an diesen Erfolg irgendwie angeknüpft werden muss – so wird für Mai 2015 das vierte Studioalbum angekündigt. „Achter Tag“ soll allerdings mehr sein als das klassische Nachfolgeralbum. Es soll mehr sein als eine dieser Platten, die in einem Jahr produziert werden und nach einer Woche bereits wieder in der Masse verschwinden. Thematisch spielt „Achter Tag“ mit der alttestamentarischen Schöpfungsgeschichte, mit dem Zen-Buddhismus – Genetikk setzen viel auf die Visualisierung, die ausgekoppelten Videos sprechen eine ganz eigene Sprache. Was zählt, ist das Gesamtbild. Das musikalische steht nach wie vor im Fokus, funktioniert jedoch noch besser in Kombination mit allen anderen Elementen, die auf das Werk angewandt wurden.
Genau so wenig wie „Achter Tag“ nur ein Album ist, ist Genetikk nur ein Rap-Duo. Neben Genetikk existiert GNKK und eine Welt, die wahrscheinlich nicht für jeden sofort verständlich erscheint, der auf die Musik von Genetikk stößt. Ich habe mich in Berlin mit Karuzo und Sikk getroffen, um über die Konstellation von Genetikk und GNKK, der Entstehung von „Achter Tag“ und ihre bisherige Karriere zu sprechen.
Wir treffen uns heute vor der Patrick Mohr Party im Rahmen der Fashion Week in Berlin. Ihr habt mit GNKK ein gutes Business neben der Musik aufgebaut. Welchen Stellenwert nimmt das Drumherum inzwischen in Relation zur Musik ein?
Patrick ist cool und es macht Spaß, mit ihm rumzuhängen. Wir waren auch gemeinsam mit ihm in Paris, er hat uns zum Release von seinem Schuh eingeladen. Wir würden das alles nicht machen, wenn das keinen Spaß machen würde. Hauptsächlich machen wir natürlich Musik und die wird immer den höchsten Stellenwert haben. Das Ding ist, dass Karuzo und Sikk Musik machen und das ganze Drumherum immer schon mehr als nur die Musik war. Es ist kreativ kollektiv: Wir machen alles – Design, Mode, Architektur. Das ist größer als man meint. GNKK und Genetikk muss man unterscheiden, das ist wichtig. Aber Genetikk, also Rizmo, Sikk und Karuzo bleiben bei der Musik.
Inwiefern spreche ich denn gerade mit Genetikk, wenn ich „nur“ Karuzo und Sikk gegenüber sitze?
Das ist schwer, da überhaupt noch zu differenzieren. Genetikk gehört gleichzeitig zu GNKK. Genau so übt GNKK Einfluss auf Genetikk aus, auch musikalisch. Wir zwei waren die Keimzelle und es ist weiter gewachsen. Dennoch denken wir nicht in irgendeiner Art in Hierarchien.
Existiert für euch die Gefahr, dass sich Leute nur über die Optik definieren? Sprich, euer Merchandise tragen, aber keinerlei Interesse an der Musik von Genetikk haben?
Das Eine ist ja nur Ausdruck des Anderen. Dazu muss man sagen, dass einer aus der Crew viel Merchandise von Hardrock Bands trägt, er hört die Musik aber nicht den ganzen Tag. Der Look dazu ist einfach cool. Wenn sich jemand nur mit dem Look identifizieren kann, ist das auch cool. Deshalb ist es gesplittet – jeder kann das davon nehmen, was ihm gefällt. Man muss die Musik nicht feiern, um HIKIDS (Marke von GNKK, Anm. d. Vf.) zu tragen. Wenn du wiederum keinen Bock auf HIKIDS hast und nur Genetikk hören willst, dann scheiß auf HIKIDS Wir spielen damit. Das Visuelle ist bei uns extrem wichtig.
Eure Erfolgsstory wurde oft erzählt. Die aktuelle Platte „Achter Tag“ ist direkt auf Platz Eins der deutschen Charts eingestiegen. Welchen Stellenwert nimmt der kommerzielle Erfolg inzwischen in eurer Karriere ein?
Der Stellenwert des kommerziellen Erfolgs wird immer geringer. Wir haben ihn erreicht und wir wissen, wie gut wir sind. Am Ende des Tages machen wir das alles für uns. Wir gucken, dass es uns und unseren Familien gut geht und ansonsten nutzen wir alle Gelegenheiten, die sich uns bieten und wir nehmen alles mit, was wir mitnehmen können – allerdings nur, wenn es passt. Man darf das auf gar keinen Fall so verstehen, dass wir alles machen. Die krassesten Sachen lehnen wir ab. Das gerät aus Respekt vor den Beteiligten auch gar nicht an die Öffentlichkeit. Wir sagen einfach nein, wenn etwas nicht passt, selbst, wenn Geld zu holen wäre.
„Der Stellenwert des kommerziellen Erfolgs wird immer geringer“
Habt ihr eigentlich einen Plan B im Kopf, falls eure Musik irgendwann nicht mehr erfolgreich wäre?
Wohin der Wind uns treibt – irgendetwas würde sich finden. Es gibt nicht nur Musik, es gibt diverse Wege, sich kreativ auszudrücken. Außerdem würden wir sicher weiterhin Musik machen. Es könnte auch sein, dass wir dann unter anderem Namen Musik machen.
Ich habe euch tatsächlich das erste Mal auf dem Spektrum in Hamburg 2011 gesehen. Da war das Projekt Genetikk noch recht klein. Habt ihr Angst, irgendwann für ein Mainstreamelement oder gar für einen Hype gehalten zu werden?
Unsere Musik ist kein Zufallsprodukt. Natürlich kann man kreative Ergüsse nicht steuern. Dennoch lässt sich steuern, was wir am Ende herausgeben und wie wir es inszenieren. Wir haben immer darauf geachtet, dass wir Inhalte und Message liefern und den Leuten was geben. Oft ist es so: Rockstars auf der Bühne machen sich kaputt, sind zwei Stunden komplett im Wahn und geben alles, was sie haben. Wenn man so etwas gibt, dann kriegt man auch etwas zurück. Ist man ein Esel und will immer nur nehmen, kriegt man auch nichts zurück. Wir haben früh verstanden, dass man viel kriegt, wenn man viel gibt.
Mainstream müsste man außerdem nochmal genauer definieren. Wenn man genauer guckt, waren wir schon die ersten, die diesen 90er Film wieder haben aufleben lassen. Natürlich ist jeder auf den Zug aufgesprungen. Nur, weil dieses Lebensgefühl viele feiern, heißt es ja nicht automatisch, dass es nicht mehr cool ist. Die Leute wissen genau, dass wir alles nur aus Überzeugung machen. Als wir mit „D.N.A.“ kamen, war der Sound noch gar nicht angesagt. Das erste Mal haben wir den mit „Inkubation“ und „Voodoozirkus“ geliefert – das ist jetzt vier, fünf Jahre her. Niemand wollte mehr Wu Tang Clan hören damals. Man kann an dieser Stelle schon sagen, dass wir genau das wieder cool gemacht haben. Wenn alle anderen auf diesen Zug aufspringen wollen, dann bitte. Es mag auch sein, dass sich das alles parallel entwickelt hat, aber wir haben das cool gemacht.
Wie lautet der nächste logische Schritt nach „Achter Tag“?
Wir arbeiten schon am neuen Album, welches wieder sehr streetig wird. Die Hälfte ist schon fertig, das Konzept steht und wir sind dran.
Ihr legt enorm hohen Wert auf den Schutz eurer Privatsphäre. Wären die Gefahren, die mit dem plötzlichen Erfolg einhergehen, größer, würdet ihr dies nicht tun?
Das Problem ist, dass die Leute anfangen, sich ihre Geschichten selbst zu erzählen und diese dann glauben. Wenn sie in der Außenwelt zu viel Fame bekommen, heben sie ab. Das kann bis zum Selbstmord führen, da gibt es nicht wenige Beispiele. Es ist nicht so, dass wir davor Angst haben, aber zu diesem Fame haben wir keinen Zugang. Wenn doch, ziehen wir die Maske auf und dann ist es cool. Man darf nicht anfangen, sich als etwas besseres zu fühlen, nur, weil man erkannt wird. Diese Gefahr besteht. Man sagt oft, dass jemand die Leute anders behandelt, weil er plötzlich fame ist. Eigentlich ist es aber genau andersherum: Du bist fame und auf einmal behandeln die Leute dich anders und dadurch verändert du dich. Du wirst anders behandelt, dir wird Aufmerksamkeit geschenkt, die du vorher nicht hattest, du bekommst auf einmal in 30 Minuten so viel Geld wie andere in 2 Wochen. Du bist derjenige, der angeguckt wird und du bist derjenige, der nach Autogrammen gefragt wird. Es steht in Beziehung miteinander.
Künstler sind keine schlechten Menschen, nur weil sie keine Masken tragen. Wir haben uns am Anfang dafür entschieden und bleiben straight.
Werdet ihr eigentlich dennoch ab und an auf der Straße erkannt?
Nein, das passiert nicht. Selbst wenn – was dann? Natürlich gibt es gerade in Saarbrücken Leute, die uns von früher kennen. Selten passiert das im Kontext: Da kommt dann so viel zusammen, dass es ziemlich offensichtlich ist, dass wir es sind. Die Stimme, die Begleitung, das Drumherum. Das ist nicht unbedingt unangenehm, man ist natürlich trotzdem cool zu den Leuten – wir lieben nette und höfliche Menschen. Solange es in dem Rahmen bleibt, ist alles gut.
Inwiefern hat der Erfolg euren Lebensstandard beeinflusst?
Das Verlangen nach Materiellem ist eigentlich noch mehr zurückgegangen. Wir kriegen eh alles geschenkt von jeder Marke (lacht). Du steigst jetzt leichter ins Taxi und das Geld sitzt irgendwie lockerer als vorher. Dennoch sind wir weit davon entfernt, rich zu sein. Man stellt sich das immer viel zu leicht vor. Es ist auf jeden Fall ein weiter Weg, bevor man sich Millionär schimpfen kann. Niemand hat bei uns das Ziel, Millionär zu werden. Klar gibt es Tage, an denen man sich denkt, wie praktisch zehn Mille auf dem Konto wären – aber ich glaube, das denkt sich jeder mal. Wir sind allerdings nicht so verbissen und gehen nachts mit dem Gedanken ins Bett, dass man unbedingt noch mehr Geld stapeln muss. Wir gehen immer noch mit dem Gedanken ans Schreiben und Beats bauen ins Bett. Das hat sich auf jeden Fall nicht geändert.
Und wie sieht es mit dem Anspruch an den eigenen musikalischen Output aus?
Wir haben mehr Möglichkeiten, das zu machen, was wir immer wollten. Deshalb ist „Achter Tag“ auch so rund geworden. Der Anspruch ist immer noch, etwas zu hören und davon geflasht zu werden.
Wie blickt ihr im Vergleich respektiv auf die Produktion von „Foetus“ und auf die von „Achter Tag“ zurück?
Das Gefühl ist eins zu eins das gleiche. Wenn man unsere Beat- und Textskizzen nimmt, würde sich das niemand anhören wollen. Es wird erst dann krass, wenn wir richtig in den Film reingehen.
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