Chemnitz, ehemals Karl-Marx-Stadt, ist vor allem für seine Automobilindustrie, Informationstechnologie und für
Maschinenbau bekannt. Zu den Sehenswürdigkeiten zählen u.a. die Markthalle, das Opernhaus und der Versteinerte Wald. Fußballbegeisterte Touristen sollten sich mit dem Chemnitzer FC, ein im Ostfußball fest verankterten Verein, beschäftigen, bei dem sich schon Michael Ballack seine ersten Sporen verdiente.
Und auch musikalisch ist die rund 250.000 Einwohner zählende Stadt gut aufgestellt. Spätestens seit dem 20. Januar 2012 ist dies auch bundesweit bekannt. Dem Tag nämlich, an dem Kraftklub „Mit K“ veröffentlichen. Genreübergreifend fangen Felix Brummer, Karl Schumann, Till Brummer, Steffen Israel und Max Marschk den Zeitgeist auf ihrem 13 Tracks umfassenden Erstlingswerk ein und erleben einen kometenhaften Aufstieg.
Was genau „Mit K“ ausmacht und warum das Debütalbum in Feuilleton-Kreisen dennoch zu hitzigen Diskussionen führte, beleuchtet BACKSPIN zum fünften Geburtstag der auf Platz 1 gecharteten Platte.
Nein, ihre Herkunft leugnet das Quintett wahrlich nicht. Vielmehr wird auf humorvolle, selbstironische Art die Sozialisation in Sachsen thematisiert. Im Stück „Karl-Marx-Stadt“ wird dies schnell deutlich, wo Sänger Felix Brummer im Refrain verlauten lässt „Ich komm aus Karl-Marx-Stadt, bin ein Verlierer, Baby / Original Ostler“. Darüber hinaus werden gängige Klischees bedient (Trabant fahren, kaum Geld in der Tasche), die alles in allem, vielleicht auch etwas ungewollt, eine Chemnitz-Hymne ergeben, die auf Konzerten von Kraftklub mit voller Inbrunst der Fans mitgesungen, gar mitgegröhlt, wird. Ungeachtet der eigenen Herkunft, wohlgemerkt.
Kraftklub fungieren als eine Art Gegenbewegung, gegen das Establishment. Gegenüber der taz erklärt Brummer, dass man nicht zwingend aus Berlin oder Hamburg stammen muss, um auf sich als Musiker aufmerksam zu machen. „Unsere Texte entstehen durch die Reflexion über das eigene Umfeld“, sagt der Frontmann. Klar, warum sich an anderen Punkten auf der Landkarte orientieren, wenn die eigene Heimat schon genug Inspiration bietet? Dabei greifen die Mittzwanziger Themen auf, die so im Osten der Republik auftreten, aber auch im Norden, Westen oder Süden der Republik nicht gänzlich unbekannt sind. Alles eine Frage der Adoleszenz, der Generation, in der man aufgewachsen ist.
Ihre Musik halten Kraftklub bewusst einfach. Ob auf lyrischer Ebene oder bei den Gitarrenriffs – mit vergleichsweise einfachen Mitteln findet die Band Anklang und streitet gar nicht erst ab, in ihrem Sound durch Bands wie The Hives, Mando Diao oder Bloc Party beeinflusst worden zu sein. Auch hier zeigt sich wieder die Selbstironie, wenn es im Opener „Eure Mädchen“ heißt „Ihr müsst uns glauben: Wir setzen die Trends / Denn bei uns klauen alle diese schwedischen Bands“. Humor als Mittel zum Erfolg? Nun, das allein ist es nicht, was Kraftklub so herrlich frisch daherkommen lässt.
Die zweifelsohne nicht perfekten Rap-Skills von Felix Brummer, die ihm von verschiedenen Seiten nicht immer kritikfreie Vergleiche mit K.I.Z. eingebracht haben, verfügen über ihren eigenen Charme. Auch das harmonische Zusammenspiel von Indie-Rock und Rap verleiht der Musik von Kraftklub einen eigenen Charakter. Hat nicht schon Cro einen Sound etabliert, den er selbst als „Raop“ bezeichnet und der den Pop-Appeal allein des Namens wegen nicht von der Hand weisen kann? Wird im Feuilleton mit kritischen Augen auf „Mit K“ geblickt, dann wird eine gewisse Eintönigkeit in der Musik Kraftklubs notiert. Aber auch die simple Instrumentation ist ofmals Kritikpunkt. „Warum irgendein Gitarren-Gegniedel oder sonstige Spielereien mitreinnehmen, nur um fresh zu klingen?“, entgegnet Gitarrist Steffen Israel gegenüber Spiegel Online. Genau, warum eigentlich?
Als wohl entscheidender Faktor für eine zunehmende Popularität ist der Song „Ich will nicht nach Berlin“ auszumachen. Bereits vier Monate vor der Veröffentlichung von „Mit K“ machen Kraftklub mit der musikalischen Karikatur der Hipster-Szene in der Hauptstadt einen entscheidenden Schritt in ihrer Karriere. Eine Hymne, die auch in Berlin Anklang findet. Ein Song, der den Hintergrund hat, dass die fünf Chemnitzer für einen Vertrag bei einem großen Plattenlabel ihre Ost-Heimat gen Brandenburger Tor, Kottbusser Tor und Co hätten verlassen müssen. Doch die Selbstdarstellungen und den Hype des Hypes wegen, denen man in der Großstadt zuhauf begegnet, sind nicht Kraftklubs Sache.
Auf den Boden bleiben, auch eine Charakterstärke von Kraftklub. Sie verstellen sich nicht, die oftmals beschworene Authentizität ist hier noch gegeben. Ob nun eine verflossene Liebe, das Binge Watching diverser Serien oder das Hadern mit dem eigenen Leben (Augenzwinkern inklusive) – die Themen sind nicht die innovativsten, werden aber so unverbraucht performt, dass darüber hinwegzusehen ist. Anders formuliert: Das Gesamtpaket passt bei der selbsternannten „Lieblingsband deiner Lieblingsband“.
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