Egoland „Migration“

Egoland_Cover_505Egoland die „Antination“. Egoland, das ungleiche Trio. Und jetzt soll man in besagtes Land der Egomanen immigrieren? Wenn der Weg bis zur Staatsgrenze überwunden ist, stellt sich schnell heraus, dass drei ungleiche Charaktere als Landesfürsten agieren. Lucry wurde einst von der Mu-sikindustrie in den großen Popzirkus katapultiert und genauso schnell wieder fallen gelassen, als er noch ein Kind war, während sich Furious im Untergrund zwischen Battle-Chypher und Edit-Entertainment-Büro herumtrieb. Atzenkalle fiel währenddessen bei Rap Am Mittwoch durch sein Acapella-Battle-Talent und mangelnde Rapfähigkeiten auf. Jetzt also ein zweites Album in besagter Dreierkonstellation mit dem zeitgeistigen Titel „Migration“.

Lucry baut die Beats. Dass er sich der instrumentalen Ebene angenommen hat, stellt sich schnell als Segen für seine beiden Mitstreiter heraus. Ob der Westcoast-Flashback von „Migration“, die musikalisierte Nachdenklichkeit von „Wecker“, oder das catchige Saxophon auf „Stößchen!“ – das hat alles Hand und Fuß. Clean, ohne dabei zu steril zu wirken und konsequent eingängig folgt der Sound keinen Trends, sondern steht für sich. Abgesehen davon verliert sich „Migration“ schnell in der Mittelmäßigkeit. Blicke in die semi-spannende Vergangenheit dreier Mittelstandskinder. Eine Menge an gezwungen arroganten Ansagen von Atzenkalle. Hipster, Zugezogene, Klischees! – Gähnen. Es gibt viele Möglichkeiten, den Hörer inhaltlich zu langweilen. Sei es mit Phrasen, mit tausendmal Durchgekautem oder schlicht und ergreifend mit unspektakulären Erzählungen en masse. All das findet sich auf „Migration“ wieder, und wird dabei von zwei Rappern vorgetragen, die ihr Handwerk durchaus verstehen. Der dritte Mann im Bunde mit dem A am Anfang des Namens sollte sich allerdings lieber wieder dem Provozieren von Berlin-Crime-Mitgliedern widmen und seine beiden Bandkumpel das Rennen alleine schaukeln lassen. Damit würde er allen – außer vielleicht MC Bogy – einen großen Gefallen tun. Letztlich liegt es vor allem an seiner Performance, dass sich ein Großteil der Tracks von grundsolide in nicht mehr ganz so solide verwandelt. Schade eigentlich.

„Migration“ ist das Rentnerparadies unter den Rapalben. Mit Bingo, Abendessen um Sechs und Entspannungsmusik zum Einschlafen. Wer die demographischen Entwicklungen im Auge behält, sieht, dass die Bevölkerung stetig altert. So hat das Egoland in ein paar Jahren vielleicht doch noch seine Chance. Bis dahin ist der Twitter-Account der Drei der mit Abstand unterhaltsamste Output (sic!). Ein Instrumentalalbum von Lucry wäre natürlich auch nett.

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Eigentlich wollte Johann gar nicht mehr so viel über HipHop schreiben, weil ihn mangelnde Qualität einiger gehypeter Alben und kindische Streitereien zu sehr auf die Nerven gehen. Doch über Probleme soll man bekanntlich reden. Jetzt schreibt er genau darüber eine Kolumne für BACKSPIN und auch weiterhin Meinungsartikel zu Musik. Ansonsten hängt er in Berlin rum, bricht Studiengänge ab, fängt neue an und schreibt als freier Autor unter anderem für Juice, Vice, taz. und Süddeutsche Zeitung.
Razer

Erzähl Digger, erzähl

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