Dissythekid im Interview

Und was ist raptechnisch in Erfurt so los? Stellt man diese Frage, beginnt der Kopf bei den Meisten wahrscheinlich erst mal zu rattern. Irgendwann kommt man auf Sonne Ra und kurze Zeit Später fällt einem vielleicht sogar der Name Dissythekid wieder ein. Der mit den krassen Videos? Genau. Nicht nur durch seine Videos, sondern auch durch seine soundlich eher experimentelle „Pestizid“ EP, die kurz vor Jahresende noch mal als CD rereleased wurde, fiel Dissy positiv auf. Zeit also, sich mit Raps bösem Zwilling mal über seine Musik, die Pseudorebellion der Jugend und Tyler the Creators Drogenkonsum zu unterhalten. Und: Wer ist eigentlich dieser Fynn?

Warum bist du Raps böser Zwilling?
Das ist das Finale von Captain Hook. Da geht es ja auch darum, wie böse man sich selbst macht und dass man sich diese böse Maske selbst aufsetzt. Manchmal bin ich halt böse. Manchmal ist jeder böse, will es gerne sein, oder hat seine dunkle Seite. Die bin ich: die böse Seite von Rap.

Rap repräsentierst also die böse Seite deiner Person?
Genau.

Du hast bei uns mal gesagt, dass du durch deine Musik deine kranken Visionen teilen möchtest. Was genau beinhalten diese Visionen?
Das sind einfach meine künstlerischen Ideen. Die Videos, die kommen. Die Musik. Meine Songs und das Gesamtkonzept sind eine Vision.

Und inwiefern ist die krank?
Ich find’s gar nicht unbedingt krank. Das ist eher das, was Leute dazu sagen. „Das ist total gestört, was du da machst.“ Wenn sie die Videos sehen zum Beispiel. Als ich mal in einem Jugendklub aufgetreten bin und da „Trash“ gespielt habe, waren alle so: „Alter, was ist das denn für ein komischer, durchgeknallter Beat.“

Deine EP wird mittlerweile zum dritten Mal veröffentlich. Warum eigentlich so oft?
Ich habe die EP zuerst bei Bandcamp hochgeladen und da gab es fast gar keine Resonanz darauf. Natürlich auch, weil mich kein Schwein kannte. Es haben sich daraufhin aber Leute aus Hamburg gemeldet. Die Tracksetters haben mich dann unterstützt und es wurde noch mal digital veröffentlicht. Das hat alles relativ lange gedauert.

Was wurde denn noch gemacht, neu gemastert?
Genau. Noch mal gemastert, viel darüber geredet, noch ein Video gemacht. Dies und das. Und dann wurde es einfach hochgeladen, denn aus Labelsicht kam noch nicht so richtig was zustande, und wir haben es dann einfach noch mal zum Freedownload angeboten. Alles auf eigene Faust. Und jetzt ist diese Zusammenarbeit hier entstanden. (Labeldeal bei Heartworkingclass a.d.R.) Es ist einfach geil, das Ding noch mal rauszuhauen, mit dem Drumherum, das ich die ganze Zeit haben wollte. Ich wollte, dass man noch mehr dazu präsentieren kann. Dieses schöne Artwork. Ich wollte schon immer einen Comic dazu machen – der ist jetzt dabei. Und einfach eine CD mit einem Cover in der Hand halten. Später kommen noch einige Videos. Jetzt ist das Projekt da, wo ich es eigentlich die ganze Zeit haben wollte.

Du hast den Comic schon angesprochen. Haben Comics dich in deiner Jugend geprägt, oder warum liegt er dem Album bei?
Ich mag Comics auf jeden Fall. Gerade so Graphic Novels. In anderen Ländern, zum Beispiel Frankreich, hat man so was viel öfter. Es ist da mehr in der Kultur verankert, dass Leute sich so was anschauen und lesen. Comics sind so wie Filme in Buchform. Du hast eigentlich dieselben Bilder. Du hast deine Bildausschnitte und deine Sprache da drinnen und kannst Geschichten erzählen. Ich mag zum Beispiel auch so was wie die Gorillaz. Das ist ja auch so wie Comic/Trickfilm.

Neben dem Comic gibt es auch sehr künstlerische Videos. War dir die visuelle Komponente in Bezug auf Musik schon immer so wichtig wie heute?
Kommt drauf an. Es gibt Musik, da kommen einfach die Bilder in meinem Kopf. Das ist das Ding. Wenn ich Musik höre, habe ich immer Bilder im Kopf und deswegen höre ich auch ganz viel Filmisches. Und wenn ich meine eigene Musik mache oder höre, dann habe ich in Gedanken meistens auch schon die passenden Bilder dazu.

Du hast in Halle und Berlin gewohnt und lebst derzeit in Erfurt. Welche der drei Städte hat deine Musik am meisten geprägt?
Erfurt. Wobei ich sagen würde, dass ich die Musik nicht so gemacht hätte, wie sie ist, wenn ich nur in Erfurt gelebt hätte. Das sind einfach die Eindrücke von verschiedenen Zeiten oder von verschiedenen Städten. Dieses viele Umziehen. Heimatwechsel. Halle war auch noch mal eine prägende Zeit, auch wenn ich nicht so lange dort gelebt habe. Ich kann das ganz schwer beschreiben. Ich glaube es gibt genauso einen Unterschied zwischen den Leuten, die schon immer in Berlin wohnen und noch nie was anderes erlebt haben und denen, die dahin gezogen sind. Wobei das jetzt auch ein total blödes Vorurteil sein kann,

Und wie kann man sich Erfurt so vorstellen. Eine typische Ostdeutsche Großstadt wie Dresden und Leipzig?
Ja. Leipzig ist natürlich noch viel größer und wie eine Mischung aus Berlin und Erfurt. Rostock ist zum Beispiel vergleichbar mit Erfurt.

Was zeichnet die Stadt im musikalischen Sinne deiner Meinung nach aus?
Es gibt zum einen natürlich den Zughafen mit Clueso, was Leipzig zum Beispiel gar nicht hat. Also so einen richtigen Star. Zumindest wüsste ich nicht, wer aus Leipzig so weit gekommen ist. Da kann man schon irgendwie stolz drauf sein. Und untergrundmäßig zum Beispiel Sonne Ra.

Ist Musik mit Sonne Ra geplant?
Wir machen jetzt ein Lied zusammen. Mit ihm bin ich viel unterwegs und er hat mich echt inspiriert. Er ist schon so ein bisschen der Mentor.

Was dich von Sonne Ra deutlich unterscheidet, sind die Beats. Er hält es ja eher klassisch, aber bei dir klingen die Instrumentale experimentell, nach Großbritannien, nach Drum and Bass Einflüssen und gar nicht unbedingt nach den Sachen, die in Deutschland gerade populär sind. Wie kam denn das zustande?
Ich habe versucht mich gar nicht mehr so viel beeinflussen zu lassen und Musik gemacht, wie mit 15, als ich blauäugig einfach irgendeine stupide Scheiße zusammengebaut habe. Damals habe ich das alles noch ganz anders gefühlt. Solche Beats vielmehr, als dieses Aufgeblasene, krass Orchestrale, was man dann überall gehört hat. Ich wollte wieder zu mir selbst zurückkommen und etwas Einfaches machen. Diese Schiene hat mich auch ein wenig zu Sonne Ra gebracht. Und ich mag auch einfach Trash. Also trashige Beats und alles, was ein bisschen abgefuckt ist.

Und war Bassmusik aus Großbritannien ein Einfluss?
UK auf jeden Fall. Ich habe viel Trip-Hop gehört, aber kenne mich da gar nicht so gut aus. Eigentlich war es so, dass ich meine Mucke gemacht habe und irgendwann kam jemand auf mich zu und meinte: „Voll der UK-Shit, das finde ich geil!“ Wobei ich diesen Begriff in dem Moment gar nicht so gut einordnen konnte, bis ich dann gerafft habe, dass es die Verbindung zwischen Drum & Bass, Dubstep usw. ist. Für mich war UK-Sound immer eher so was wie Portishead.

Es folgt eine kleine Diskussion über Fynn mit dem Ergebnis, dass er und Dissythekid seit seinem 15. Lebensjahr zusammenarbeiten. Wer mehr über den mysteriösen Charakter mit Gespür für besondere Beats erfahren möchte, sollte in Videos und Musik genauer hinsehen und hinhören.

Du hast auch mal gesagt, dass du dir am liebsten Untergrundrap auf Vinyl reinfährst …
So was höre ich eher zusammen mit meinen Jungs. Zum Arbeiten dann auch viele Sachen, die gar nicht mit HipHop zu tun haben. Aber mit meiner Crew zum Beispiel viel Schaufel und Spaten. Die mag ich besonders gerne, weil die Beats einfach geil klingen. Jay Spaten Beats hauen halt rein. Es ist einfach gut gemacht und schön anti. Aber ich kann mir genauso gut poppigere Sachen anhören.

Cro? Er wird auf dem Album ja auch mehrmals erwähnt.
Ich finde es auf jeden Fall krass, was er da macht und was da passiert und würde mir wünschen, dass es da auch ein bisschen künstlerischer wird. Vielleicht noch ein bisschen was Gestörtes. Obwohl das ja in den Videos schon ein bisschen drinnen ist. Aber ich find’s so schon cool. Ich bin ja auch gut mit Teesy von Chimperator befreundet. Es war auch immer so, dass die Leute dachten, ich würde Cro dissen und fragten, was ich gegen ihn habe. Ich habe überhaupt nichts gegen Cro. Diejenigen, die das denken, haben den Text wahrscheinlich auch nicht wirklich verstanden. Es geht da mehr um mich, wie ich auf diese ganzen Hypes reagiere. Die Texte sind auch schon ein bisschen älter und jetzt würde ich so was gar nicht mehr schreiben.

Auf „Trash“ sprichst du auch über Hypes, die einen beeinflussen und die Medien. Würdest du den Song als Medienkritik verstehen?
Klar. Und vor allem Kritik an mir selbst. Das ich mir den ganzen Scheiß reinfahre, und weiß, wovon ich rappe. Das ist ja schon fast peinlich, würde ich sagen.

Und was ist der Anreiz daran, dir den ganzen Trash anzusehen?
Eigentlich ist es ganz schlimm, dass ich mich immer dann, wenn ich arbeiten muss oder was Wichtiges zutun habe, selbst ablenke. Nur weil ich bei Facebook auf irgendwelche blöden Links drücke. Und man wird überall so bombardiert damit, und dann zieht man sich das natürlich rein. Und ich vergeude Zeit, in der ich viel wichtigere Dinge machen sollte.

Aber was genau ist der Anreiz?
Mich selber vor wichtigen Sachen abzulenken. Einfach sich kurzweilig zu unterhalten. Und natürlich Interesse. Das Interesse an dem was auf der Welt so passiert.

Also ist es nicht nur Kritik gegenüber den Trash-Formaten, sondern auch gegenüber seriösen Medien?
Es gibt natürlich seriöse Sachen. Die lese ich mir auch durch um mich zu informieren. Und diese Trash-Formate bringen einen als Mensch natürlich überhaupt nicht voran. Aber die sind einfach gute Unterhaltung.

Und es läuft im Endeffekt ja nur das, was die Leute sehen wollen.
Genau, das ist ja das Phänomen. Jeder redet davon, er wäre so schlau und guckt nur ARTE und liest die Süddeutsche Zeitung. Aber die Leute wirst du auch dabei erwischen, dass sie bei RTL hängen bleiben und sich den Scheiß reinziehen. Davor ist keiner gefreit. Da machen mir eher die Leute Angst, die nur anspruchsvolle Sachen gucken.

Warum?
Weil es menschlich ist. Weil es dazugehört, dass man auch leichte Unterhaltung braucht.

Neben den Medien kritisierst du auch unsere Generation dafür, dass sie nur hobbymäßig rebellieren würden. Vermutlich ist das so, weil die Meisten relativ zufrieden sind. Was erwartest du denn von diesen Menschen und von dir selbst hinsichtlich Revolte?
Es geht gar nicht darum, dass man rebellieren müsste. Eher, dass jeder davon redet, oder meinte davon reden zu müssen. Das merkt man auch in der Musik.

Auch der Bezug von vielen Leuten auf irgendwelche Verschwörungstheorien?
Genau. Und dann liest du dir Ken Jebsen Artikel durch, likest das und denkst, du hast die Welt verstanden. Aber auch die ganzen Camouflage Klamotten, die jetzt wieder im Trend sind. Ich habe schon das Gefühl, dass die Kinder von heute ziemlich anti sind. Ich glaube also, dass viel zu viel über Rebellion geredet wird, aber es keiner durchzieht. Es ist also nur Gefasel und das gehört auch zu mir dazu. Zwischenzeitlich so: „Scheiß System“ und am Ende geht‘s mir gut. Genauso denkst du ja auch über die Menschen in den Medien, aber hängst dann trotzdem vor RTL.

Also beinhaltet die EP letztendlich Kritik an dir selbst?
Ja. Aber auch an dieser Gleichschaltung. Das es gar keine richtige Wut mehr gibt. Wir sehen zwar bei Facebook, dass beschissene Sachen auf der Welt passieren. Massentierhaltung oder was weiß ich. Mega viele beschissene Sachen, über die man sich aufregen kann, aber wir kommen alle nicht aus unserer Komfortzone.

Bei PEGIDA und HOGESA waren und sind auch viele junge Leute dabei, die definitiv richtige Wut zeigen. Was hältst du dann davon?
Das ist ein mega nerviges Thema und ich kenne Leute von beiden Seiten. Aber da möchte ich mich mit Aussagen wirklich zurückhalten, denn solche Statements sind ganz schwierig. Vielleicht spricht man einige Punkte aus, die einen am Islamismus stören und alle geilen sich daran auf. Und andersrum genauso. Es ist an sich ein Thema, das mich total nervt. Ich bin auf jeden Fall ein toleranter Mensch, der in fast allem etwas Positives sehen kann, außer in Fremdenfeindlichkeit.

Auf der CD-Edition deiner EP gibt es einen Track namens „Speed“, der sich mit dem befasst, was man sich gerne mal durch die Nase zieht. Sind deiner Meinung nach Drogen auch für die Unlust auf Rebellion verantwortlich?
Ich glaube schon. Es wird ja auch immer mal erwähnt: Drogen tragen eher dazu bei, dass du mehr gleichgeschaltet wirst, als alles andere. Vielleicht sind sie auch bewusstseinserweiternd und so, und es kommt natürlich darauf an, wie man darauf reagiert. Aber so einen richtig positiven Nebeneffekt haben die meiner Meinung nach sowieso nie.

Spielt es für dich während deiner kreativen Schaffensphase eine Rolle?
Es hat mich auf jeden Fall schon beeinflusst, aber mittlerweile schreibe ich Texte lieber nüchtern.

Das angesprochene Gestörte kommt also nüchtern?
Das hat mit Drogen nichts zutun. Es ist eher so eine Lebenseinstellung und eine Einstellung zu sich selber, dass man denkt: „Ich will gestört sein und etwas Gestörtes machen.“ Und dann fährt man sich Drogen rein, denn ‚man ist Künstler und das machen ganz viele‘. Ich glaube aber, du kannst auch ein krasser Künstler sein, der richtig strangen Scheiß macht, wenn du nüchtern bist. Ich glaube sogar so jemand wie Tyler the Creator und die K.I.Z. Leute nehmen nicht die Drogen, die man erwarten würde.

„Pestizid“ war wie du sagst schon vor einem Jahr fertig. Ist abgesehen von den drei Bonustracks in letzter Zeit viel neue Musik entstanden?
Es kommt auf jeden Fall noch ein Album. Wie bald, das kann ich nicht sagen.

Aber du arbeitest schon daran?
Ich mache mir gerade sehr viele Gedanken um das Konzept drum herum. Aber jetzt werde ich erst mal ein, zwei Features mit Sonne Ra machen. Da ist dann Al Kareem noch mit drauf. Ansonsten stecke ich viel Energie in die Planung der Videos. Da kommt noch ein bisschen was.

Kannst du denn schon sagen, in welche Richtung das Album gehen wird?
Ich werde einfach das, was bei „Pestizid“ schon angekratzt wurde noch mehr vertiefen. Gerade Raps böser Zwilling. Die böse Seite. Es wird sich viel mit Fynn auseinandersetzten. Aber trotzdem nicht nur düster. Es wird einfach eine Geschichte weitererzählt.

Mit deiner Crew Wordsflysch war auch ein Album angekündigt. Kommt das noch?
Ich bin mir da gerade nicht so sicher, aber eigentlich sollte ein Album rauskommen. Aufgenommen ist es. Der Plan war, dass es im Januar veröffentlicht wird, aber ich glaube nicht, dass wir das hinkriegen. Es muss noch gemastert und gemischt werden und es ist gerade alles etwas konfus.

Ein Label gibt’s dafür also auch noch nicht?
Nicht so richtig. Wir müssen uns da einfach noch mal reinhängen.

 

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