In seinem Kommentar „Hat Deutschrap wirklich ein Problem?“ plädiert BACKSPIN-Autor Johann Voigt unter anderem auch dafür, dass die Hip-Hop-Journalisten sich künftig ruhig mal etwas kritischer auf die Finger schauen sollten, anstatt das Kritiküben an ihrer Arbeit vermeintlich Außenstehenden zu überlassen. Der Folgende Kommentar liegt schon zwei, drei Monate auf der Festplatte von Dennis Kraus. Er wusste nicht so genau, wohin damit. Doch nach dem Text von Johann Voigt scheint der Kommentar auf einmal zu passen. Eine Hip-Hop-Medien-Kritik.
Die anderen nicht – und wir auch nicht!
Im August gab es wieder so eine Phase. Ein Rap-Ereignis hatte es über die Hip-Hop-Medien hinaus in die weite Welt geschafft. Kaum eine große Zeitung, kaum ein großes Magazin, das nicht mit einem Beitrag über „Straight outta Compton“ aufwartete. Dazu kamen die Artikel und Filmchen der Hip-Hop-Websites. Überall blickte einem Ice Cube entgegen, Dr. Dre, Eazy-E oder wenigstens die Hauptdarsteller des Films.
Für mich sind solche Phasen spannend. Bieten sie mir doch die Gelegenheit, die Berichterstattung der Rap-Medien mit den Arbeiten der Mainstream-Medien vergleichen zu können. Und so war es nicht das erste Mal, dass ich nach ausgiebigem Konsum für mich selbst etwas feststellen musste, was mir nur schwer über die Lippen geht: Zumindest einige der großen Medien können über ein Ereignis wie „Straight outta Compton“ besser berichten als die Hip-Hop-Medien. Finde zumindest ich.
Ohne die Arbeit der Hip-Hop-Kollegen geringschätzen zu wollen: „Überrollt“, der Spiegel-Artikel anlässlich „Straight outta Compton“, war für mich informativer und besser konsumierbar als jeder mir bekannte Beitrag einer hiesigen Hip-Hop-Redaktion. Frei von typischer Hip-Hop-Folklore berichtet Der Spiegel über den Film und verknüpft das mediale Großereignis mit aktuellen Geschehnissen in den USA sowie mit dem unmittelbar mit dem N.W.A-Film zusammenhängenden Verfahren gegen Suge Knight. Der Artikel ordnet den Streifen ein, unterstreicht die gesellschaftliche Relevanz von Rap, zeigt Zusammenhänge auf und wartet überdies sogar mit der Information auf, dass „Compton“, Dr. Dres Album zum Film, wohl sein letztes sein würde. Leider bleibt der Text schuldig, woher diese Information kommt. Denkbar jedoch wäre es.
Doch zurück zum Thema, wie es sein kann, dass das deutsche Nachrichtenmagazin einen Artikel über ein Rap-Ereignis druckt, der einen wie mich mehr anspricht als die Artikel der Hip-Hop-Journaille. Erklärungen dafür gibt es freilich viele. So hat ein Magazin wie Der Spiegel mit Sicherheit mehr Möglichkeiten, seine Berichterstattung zu realisieren, als die hiesigen Hip-Hop-Medien. Auflage und Relevanz sind hoch, die Leserschaft (vermeintlich) finanzstark und der Ruf, eines der Leitmedien des Landes zu sein, dürfte sicherlich hilfreich gewesen sein, ein verhältnismäßig ordentliches Zeitfenster für ein Interview etwa mit Ice Cube zu erhalten. Dazu kommen die journalistischen Skills, die dazu führen, jene eben erwähnten Zusammenhänge herstellen und gleichzeitig Distanz zum Subjekt bewahren zu können.
Und es war nicht das erste Mal. Einige Wochen zuvor hatte Der Spiegel einen Artikel über Kendrick Lamar und dessen neues Album gedruckt. Die Süddeutsche genau so. Und auch die sagten mir mehr zu als die Texte, die ich dazu in den Hip-Hop-Medien gelesen hatte. Ähnliches dachte ich auch, als ich in der Süddeutschen Artikel über Celo & Abdi sowie über Haftbefehl gelesen hatte. Oder als Der Spiegel seinerzeit anlässlich seines Sony-Deals groß über Massiv berichtet hatte, Die Artikel trieften nicht vor Folklore und Bewunderung, sondern blieben sachlich und distanziert. Überhaupt: Diese kollektive Bereitschaft, Künstler, die gerade für Aufsehen sorgen, sofort und ohne jede Distanz bis ins unendliche abzufeiern, war und ist einfach nicht meins. Mir ist das zu aufgeregt, zu wichtigtuerisch, ja, zu cool. So etwas hilft in meinen Augen niemandem – außer vielleicht den verantwortlich zeichnenden Redakteuren, die so mit ihrer Arbeit zeigen können, wie nah dran sie am Geschehen, ja dass sie im Grunde Teil dessen sind. Man kennt das ja. Die Kampagne zu einer Veröffentlichung ist längst Teil derselbigen. Und die Hip-Hop-Medien spielen brav mit. Ich finde das langweilig.
Ein anderer, für mich wichtiger Grund, warum ich mehr Gefallen an einem SZ– oder Spiegel-Artikel über zum Beispiel Kendrick Lamar oder eben „Straight outta Compton“ finde als an den Beiträgen der Hip-Hop-Presse, ist die Form der journalistischen Arbeit. Statt einfach nur Interviews zu führen und diese dann – ob als Video oder gedruckt –mehr oder minder gekürzt zu veröffentlichen, ist „Überrollt“ eine astreine Reportage. Und genau dieses Format finde ich in den Hip-Hop-Medien selten bis gar nicht, was ich sehr bedaure. Denn diese Form der Berichterstattung erlaubt einer Redaktion, über das schlichte Interview, das ohnehin in den allermeisten Fällen von sehr sensiblen Managern autorisiert wurde, hinauszugehen. Es erlaubt einem, einen einordnenden Kontext zu erschaffen, so dass die Reportage nicht allein aus autorisiertem Promo-Geschwafel besteht. Und es erlaubt einem, die eigene Meinung zwischen der einen oder anderen Zeile mit durchscheinen zu lassen. Und nicht zuletzt kann man als Redakteur, Journalist, Blogger oder für was auch immer man sich hält, seine Skills aufblitzen lassen.
Allein: Warum wagen sich die Hip-Hop-Redaktionen so selten bis gar nicht an eine Seite-3-mäßige Reportage? Hält man sie für unnötig, weil man das, was die Reportage dem Leser erklärt, als Hip-Hop-Redaktion bei den eigenen Lesern einfach als ohnehin vorhandenes Wissen voraussetzt? Will man seinen Leser mit diesen normalerweise doch recht langen Texten nicht auf die Nerven gehen, weil man fürchtet, dass die meisten sie schlicht für „too long to read“ halten? Dazu könnte hier außerdem der Faktor der Wirtschaftlichkeit zum Tragen kommen. Denn zum einen bedeutet so eine Reportage eine Menge Arbeit, zum anderen finanzieren sich die meisten Hip-Hop-Portale durch Klicks. Das Verhältnis von Aufwand und Ertrag würde hier wahrscheinlich schnell in eine bedrohliche Schieflage geraten. Vielleicht aber spielt auch die Angst vor dem Liebesentzug des Künstlers oder dessen Managements eine Rolle. Denn wer ausschert, wird schnell mal bei der nächsten Terminanfrage ignoriert. Oder sind die meisten Hip-Hop-Redaktionen einfach nicht dazu imstande, eine Reportage an den Start zu bringen?
All dem gegenüber stehen, das darf hier natürlich nicht verschwiegen werden, die Fehltritte großer Zeitungen, schrieben sie mal über Rap. Diese Texte trieften dann nur so vor Polemik einer- und Nichtwissen andererseits. Und doch bleibe ich dabei. Die Hip-Hop-Berichterstattung der großen Medien gefällt mir zwar nicht immer, aber oftmals besser als die der Rap-Medien. Das haben mir die Beiträge zu „Straight outta Compton“ einmal mehr gezeigt. Die anderen Hip-Hop-Medien jedenfalls haben mir da nichts freshes geliefert. Und die BACKSPIN auch nicht …
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