Es ist Mitte März. Der Shutdown im Rahmen der Maßnahmen gegen das Covid-19 Virus ist schon seit einigen Wochen in Gange, nach und nach werden bereits erste Lockerungen beschlossen. Es hat den Anschein, dass viele den Eindruck haben, die Situation sei überstanden. Es wird sich in großen Gruppen draußen getroffen, Restaurants haben offen und achten – mal mehr und mal weniger – auf die Hygienevorschriften. Welche Lockerungen bisher nicht in Sicht sind, sind solche für Veranstaltungen. Daher telefoniere ich heute mit dem Berliner Rapper und Produzenten BLVTH.
Wer BLVTH schon länger verfolgt wird merken, er ist ein Künstler mit viel Output. Und während in der letzten Zeit das ein oder andere Release verschoben wurde, veröffentlicht Patrick, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, weiterhin in recht regelmäßigen Abständen Musik. Nach vergangenen Projekten mit Casper und Kummer erschien zuletzt seine Single „I Don’t Wanna Be“ inklusive einem Feature der deutsch- kanadischen Sängerin Bülow. Ich möchte von Patrick wissen, wie er die letzten Wochen wahrgenommen hat, welche Möglichkeiten sich in letzter Zeit für ihn ergeben haben und was es mit seinem momentanen „Social-Media-Hype“ auf sich hat.
Stichwort Social-Media-Hype: Ich würde soweit gehen zu sagen, dass BLVTH einen der stärksten Grinds der Deutschrapszene hat. Ob auf Instagram, TikTok, oder seit neuestem auch auf YouTube. Von BLVTH gibt es täglich neuen Content. Der momentane Trend: Cinnamon Buns, Zimtschnecken. Davon machte er vor einiger Zeit welche, zeigte sie in seiner Instagram Story und postete das Rezept. Die Folge: Er wurde mit Fanvideos überschüttet. Das schlug sogar solche Wellen, dass erst kürzlich Taylor Swift, ja, die Taylor Swift, ein Bild ihrer Zimtschnecken postete. Ich muss an der Stelle erwähnen, dass sich der Twitter Post von Taylor Swift als Fake herausgestellt hat. Das macht BLVTHs momentanen Social-Media-Grind und dessen Reaktionen aber eigentlich nur deutlicher. Macht ihn das jetzt zu einem Influencer? Nicht so wirklich. „Ich gebe einfach immer meinen Senf dazu.“ Wenn er etwas sagen möchte, dann tut er es auch. Sowohl in seinem Alltag, als auch auf seinen Socials. Und da das Thema Essen bei ihm privat eine große Rolle spielt, bringt er davon auch viel mit ein. Ob das aufwendige Kochen zu Hause oder das auschecken des neusten Streetfood-Stands, BLVTH genießt es in vollen Zügen.
BLVTHs Reichweite stieg in der Vergangenheit sehr stark. Nachdem er 2017 an Caspers Album „Lang lebe der Tod“ mitwirkte, folgte im letztem Jahr das nächste Großprojekt als Executive Prodcuer für das Album „Kiox“ von Kummer. In der Hinsicht interessiert mich natürlich, wie er das Feedback wahrgenommen hat: „Ich habe einfach nur gedacht ‚Wow!‘ Auch was die Instagram Reichweite angeht. Die war plötzlich doppelt so groß.“ Das führte auch zu einer größeren Nachfrage seiner Beats. Als Auftragsproduzent sieht er sich aber nicht. „Das Allerwichtigste ist für mich der Respekt und die gegenseitige Wertschätzung. Ich arbeite liebend gerne mit anderen Leuten zusammen, aber das muss einfach auf Augenhöhe stattfinden.“ Wer mit BLVTH arbeiten will, der muss auch seine Beats haben wollen. Seinen eigenen Style. Er würde nicht versuchen, auf Anfrage einen bestimmten Stil nachzumachen.
Seine neuste Plattform ist YouTube. Er hatte schon lange vor, Beatvideos online zu stellen. Das war einer der Punkt auf seiner langen To-Do Liste, wie er mir erzählt. Oft braucht er für solche Ideen aber noch einen letzten Anstoß. Durch die Corona-Zeit gab es da keine Ausreden mehr. Nach einem kurzen herantasten an die Vorgänge und das Equipment kam dann vor einigen Wochen auch die erste Folge seiner Show: „Make a Beat with BLVTH“
Die Corona-Krise hatte in einer Hinsicht einen positiven Effekt auf seine Arbeitsweise. Um den Nachbarn nicht mehr ständig auf die Nerven zu gehen, fährt er jetzt täglich in sein etwa 30 Minuten entferntes Studio. Hier hat er es sich in einem Altbau gemütlich eingerichtet und kann sich so richtig austoben. Zugegebenermaßen ging das anfangs noch nicht. Insgesamt drei mal ist er innerhalb des Gebäudes umgezogen, da nebenliegende Schlagzeugproben und Ähnliches ihn am Aufnehmen gehindert haben. Das gehört jetzt aber der Vergangenheit an. So kann er nun auch Nachtsessions möglichst gut entgegenwirken und hat einen geregelteren Alltag. Das war im letzten Jahr noch anders. Es hat aber noch einen weiteren Nebeneffekt.
Ich habe BLVTH vor einigen Jahren als Live-Künstler kennengelernt. Damals war er Voract auf einer Clubtour von Ahzumjot. Ich erinnere mich noch gut an den Moment. Im Zoom in Frankfurt war eine ausgelassene Stimmung, wobei die meisten Zuschauer*innen noch im ganzen Club verstreut waren. Wie vermutlich viele andere Besucher*innen, las ich seinen Namen das erste mal auf dem Banner, dass den DJ Pult hinunter hing. Ich stand gerade an der Bar und wollte mir etwas zu trinken holen, als plötzlich die Musik losging und ich von einem tiefen Bass überrascht wurde. BLVTH kam auf die Bühne und legte eine überragende Show hin. Die Balkone des Clubs leerten sich und die Menge sammelte sich vor der Bühne. Eine solche Energie hatte ich bis dato bei kaum einem/einer Künstler*innen gesehen.
Heute, einige Jahre später, habe ich die Chance, ihn zu fragen, wo diese Energie herkommt: „Wenn ich im Studio sitze und Musik machen, dann ballere ich alles, was mir im Kopf ist und was ich auf dem Herzen habe in die Musik rein. Und wenn ich auf der Bühne bin und die Musik aufdrehe, lasse ich wirklich alles wieder heraus. Dann kann ich einfach nichts anderes machen, als auszurasten.“ So geht es ihm auch im Studio. Wenn er an einer Idee arbeitet, dann lässt er alles raus. Er dreht die Musik auf, springt im Studio hin und her und lässt sie auf sich wirken. Das wird von der Stimmung auf einer Show natürlich noch weiter aufgeheizt. „Ich muss mich dann schon zügeln und mich bremsen, dass ich nirgendwo raufklettere und einen Rückwärtssalto hinlege“ sagt er und lacht. Aber natürlich ist es auch um so schlimmer für ihn, dass er diese Energie momentan nicht auf Shows herauslassen kann.
In der Regel versucht BLVTH ein bis zwei mal im Jahr nach L.A. zu fliegen, Musik zu machen und Leute zu treffen. Dabei ist auch sein neuster Song „I Don’t Wanna Be“ entstanden, auf dem er ein Feature mit Sängerin Bülow hat. Die Anfrage für das Feature kam sehr überraschend. Nach dem Release seines Songs „Disarray“ Ende 2018, wurde dieser in der amerikanischen New Music Friday Playlist von Spotify gefeatured. Dort hörte ihn die Künstlerin und schrieb ihm bei Instagram. „Das war crazy! Das sowas wirklich passiert. Sie war damals ja schon sehr groß.“ Nach einer Session in Berlin, trafen sie sich dann im letzten Jahr in L.A., arbeiteten ihre Ideen aus und machten den Song.
Dass ein Song von BLVTH erste einige Zeit nach er Entstehung erscheint, wie es bei der Kollabo mit Bülow der Fall war, ist für ihn eher untypisch. Er releast lieber viele Singles und sammelt sie in Collections: „Ich mag es einfach, direkt rauszuhauen, was mich interessiert.“ Er versteht Konzeptalben, springt aber selbst immer wieder von Moment zu Moment und lässt fertige Songs nur ungern rumliegen. In der Vergangenheit viel es ihm oft schwer sich zu entscheiden, wann und wie er welche Songs nun rausbringt. Dagegen hat er sich jetzt eine Struktur angelegt und plant regelmäßige Veröffentlichungen. Allein zwei Collections sollen noch dieses Jahr erscheinen. Ob das so klappt, steht natürlich noch in den Sternen. Ich wünsche ihm aber natürlich alles Gute dafür.
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