Album der Woche: AchtVier – „Diddy“

AchtVier

Beim Album der Woche bespricht jeweils ein Mitglied der BACKSPIN Gang das nach unserem Ermessen spannendste neue Rap-Album. Komplett subjektiv, Track by Track und bewertet auf einer Skala von 1-10. Diese Woche bespricht unser Autor Kevin Goonewardena das mittlerweile siebte Soloalbum von AchtVier, benannt nach „Diddy“.

Künstler: AchtVier
Titel: Diddy
Features: TaiMO, Marvin Game, Beka, Alex Diehl, Stanley, Danny 111, Mosh36, Herzog,
Boz, Reeperbahn Kareem
Produzenten: Tash08
Releasedate: 10.07.2020
Label: Walk This Way / Warner Music Group

Kevins Erwartungshaltung:
Seit Jahren versucht AchtVier, seines Zeichens Steuerfreimoney-Labelboss und Ex-187 Straßenbande-Mitglied, sein nicht zur Diskussion stehendes Potential vollends auszuschöpfen – das gelang ihm in der Vergangenheit mal besser, mal weniger gut. Als Straßenrapper thematisch von Natur aus eingeschränkt, fehlte es den Veröffentlichungen AchtViers vor allem an dem viel zitierten gewissen Etwas – am Ende blieb höchstens ein solides Album, dessen Stärken und Schwächen sich gegenseitig aufhoben, weil auch die Qualität der einzelnen Puzzlestücke einer Albumproduktion stets schwankte. Zu wenig für einen Rapper seines Talents. Mit dem Wechsel als Solo-Artist zu Walk This Way und dem letztjährigen Album “Hyperaktiv” scheint der Hamburger den Grundstein gelegt zu haben, um nach über zehn Jahren in der Szene endlich den entscheidenden Schritt nach vorne zu kommen – auch wenn die Texte des Vorgängeralbums teilweise eklatante Schwächen aufweisen. Nun erscheint mit “Diddy” ein Nachfolger, der diesen eingeschlagenen Weg festigen soll. Aber ist Fizzle das auch gelungen?

1. Stück Scheisse

Wer den Vorgänger noch im Ohr hat, hört sofort: AchtVier hat dazugelernt. Noch vor einem Jahr eröffnete er „Hyperaktiv“ mit abstrusen Zeilen, die man  lieber überhörte, als sie ernsthaft diskutieren zu wollen. Lässt der Titel “Stück Scheisse” beim Lesen der Tracklist kaum lyrische Besserung vermuten, überrascht AchtVier a.k.a Fizzle hier positiv. Den durchaus denkbaren Rundumschlag gibt es nicht zu hören – stattdessen die Geschichte wie aus dem Menschen hinter dem Künstler-Alias das “Stück Scheisse” für die Gesellschaft wurde, das er laut eigener Aussage heute ist. Schonungslos direkt, persönlich wie selten zuvor – und voller Akzeptanz für sich und seinen Werdegang. Als Eröffnungsstück die beste Wahl, denn alles was folgt, erklärt sich hier.

2. Whoa (feat. TaiMO)

Steuerfreimoney-Act und AchtVier-Zögling Taimo gehört immer noch zu den most underrated Artists im Game, das beweist er auf „Whoa“ einmal mehr. Ein klassischer Banger, die Hook bringt die immer wiederkehrende Szene-Kritik Fizzles auf den Punkt, und lässt jeden Rapfan, der sich zwischen den ganzen “Leleles” nicht mehr wiederfindet, schneller YouTube-Kommentare des Credos “Echter Rap” verfassen, als Taimo spitten kann.

3. Hubba Bubba

Die Bridge “Schmeiß‘ ’ne Molly, Molly / Und sie tanzt dann auf den Tischen wie früher Buddy Holly” packt mich sofort. Auch wer Slang-Begriffen nicht mächtig ist, begreift schnell: Auch hier geht es um das Konsumieren und Ticken von Drogen – schon tausendmal da gewesen, auch und gerade bei AchtVier, macht aber trotzdem Spaß erneut zu hören.

4. Bad Boy (feat. Marvin Game)

“Ich bin Ghetto seit der Trennung meiner Nabelschnur” heißt es und kaum jemandem hierzulande nimmt man diese Zeile so sehr ab wie AchtVier. Thematisch ein alter Hut, ist es nur konsequent ein Track mit Marvin Game auf das Album zu packen. Nicht nur, weil sich die Wege Beider schon einige Male kreuzten, sondern natürlich vor allem wegen der geteilten Liebe für das grüne Zeug, die man hier zusammen zelebriert.

5. Big Pimp

In den 1960ern Jahren aufgekommen, steht der Pimp ursprünglich für ein Ergebnis des in Folge der schwarzen Bürgerrechtsbewegung gewachsenen Selbstbewusstseins der afroamerikanischen Bevölkerung und der dennoch weiterhin oft einzigen Möglichkeit durch Aktivitäten jenseits der Legalität zu Wohlstand zu gelangen.

AchtViers eigene Definition des Pimp-Lifestyles hat erwartungsgemäß wenig mit dem zwar dekadenten, aber stilbewussten, kriminellen, dennoch sympathischen und natürlich auch verklärten US-Amerikanischen Vorbild zu tun. Geschenkt, denn das würde weder zu Fizzle, noch zu St. Pauli und den beginnenden 2020er-Jahren passen. Den Holocaust-Vergleich hätte er sich sparen müssen – trotz Non-PC-Image & Kunstfreiheit. No Remorse? No Excuse!

6. Motherfucker (feat. Beka)

Die Produzenten Tash08 lassen erst Eazy-E in der Hook aus dem Jenseits erklingen und dann AchtVier und Beka getreu dem „24Hrs To Live“-Sample über den Beat rollen. Bockt.

7. Haddaway

Skills und Energie AchtViers kommen dort am besten, wo er über Tracklänge sein Können unter Beweis stellen kann – wie bei diesem, nach dem 90er-Jahre One-Hit-Wonder-Haddaway benannten Stück. Die beste Line des Albums gibt’s obendrauf: “Ihr kauft alle Balenciaga, ich träum‘ oft von mein’n Vater”

8. Kleeblatt

“Guck‘, der Flow, denn ich roll‘, wie in New York City Trains” – wie schon bei Haddaway kommt Fizzles Können hier mit am besten zur Geltung.

9. Diddy (feat. Alex Diehl)

Der titelgebende Song ist nicht nur eine Referenz an die gleichnamige Single von Sean Combs, die dessen Namenswechsel einleitete und Boogie Down Productions Respekt zollte, sondern natürlich auch als Synonym für „Daddy“ respektive „Vater“ zu verstehen. An seinen eigenen, bereits verstorbenen Vater richtet Fizzle hier seine auf Platte gepressten letzten Worte. Der ernsten Thematik entsprechend ist es das ruhigste Stück des Albums, inklusive eines Gastauftritts des Singer-Songwriters Alex Diehl.

 ”Und wenn ich in den Spiegel seh‘ / Seh‘ ich ein Teil von dir und ein Teil von mir / Und ich würde über Leichen geh’n / Um diesen Teil von dir in mir nicht zu verlier’n” 

10. Seitdem

Dass AchtVier Rauschmittel nicht nur zum Feiern und zur Bekämpfung seiner Dämonen nimmt, sondern selbige längst zu seinen Dämonen zählen, wird nirgendwo deutlicher als hier. “Seitdem ich ein kleiner Junge bin / Dreh‘ ich Joints, bis der Rauch in meine Lunge dringt / Mama fragt mich, was der Unsinn bringt / Doch viel zu spät, um jetzt einfach umzudreh‘n”. Eminem würde ihm vermutlich antworten. “But it’s never too late to start a new beginnin” („Believe“, „Revival“, 2017)

11. Vamos (feat. Taimo, Stanley, Danny 111)

Ein Steuerfreimoney-Allstar-Track. Das versammelte Labelroster ist am Start und reißt auf einem zurückhaltenden Klingelbeat von Tash08 ordentlich ab. Wo die x-te inhaltliche Wiederholung in so manch einem anderen Stück ermüdend ist, ist genau dieses Pendeln zwischen den vorgegebenen Koordinaten bei einem solchen Track gefragt. Der kommt ohne schwache Parts aus und zeigt, welches Potential in dem Hamburger SFM-Label steckt.

12. Auf der Hut 2 (feat. Herzog, Mosh36)

Fast zehn Jahre nach dem ersten Teil holt sich AchtVier mit Herzog und Mosh36 Unterstützung für die Fortsetzung dieses Klassikers seines Solo-Debüts “Abstand” ans Mic. Zeiten ändern dich? Nicht so hier; mit einem Auge auf die Bullen und einem auf die Konkurrenz wird immer noch getickt – daran ändert der Wunsch seit Jahren aufhören zu wollen genauso wenig wie “1000 Verfahren”. Das eigene Selbstverständnis wiegt einfach zu schwer: “M-O hier, M-O da, […] M-O Escobar.” (Mosh). Da hilft es tatsächlich nur noch wachsam zu sein. Schließlich wurde der legendäre Medellin-Pate einst erschossen.

13. Appel und Ei

Mit dem Zitat einer der prägendsten Raplines überhaupt zur Eröffnung des Songs, referenziert Fizzle nicht nur Wu-Tang und die Golden Era, er macht auch noch mal unmissverständlich klar, worum es ihm im Leben geht: Rauskommen, aufsteigen. Und wenn das nicht geklappt haben sollte, sich zumindest nicht unter Wert verkauft haben. Ein Motivations-Guru könnte das kaum besser ausdrücken.

14. Soll ich auch so tun (feat. Boz, Reeperbahn Kareem)

Authentizität, oder was ein Künstler dafür hält, ist im Rapgeschäft nach wie vor wichtig und wird es wohl auch immer sein – und so koppelt das hier vertretende Trio die titelstiftende Frage an all die Themen, die sie ihre eigene Authentizität einbüßen lassen würden, würden sie nicht das Leben so führen, wie sie es tun.

15. Outro

“Diddy” endet wie der gleichnamige Song – mit letzten an den verstorbenen Vater gerichteten Worten.
“Yo, ich lebe, was ich sage, widme dir die LP / Konnte dir das niemals sagen, hab‘ dich unendlich geliebt.“ 

Solche intimen Einblicke in das eigene Gefühlsleben zu gewähren, die über nichtssagende Phrasen hinausgehen, wie man sie zuhauf in Songs anderer Künstler findet, ist kein Muss, und gerade deswegen anzuerkennen. Eben weil ein Künstler so ohne Notwendigkeit intimste Einblicke gewährt. Wenn Fizzle Zeilen wie „Wie der Vater, so der Sohn (so der Sohn) / Hatte Papa eine Fahne, heute hab‘ ich eine Fahne“ rappt, ist dies nicht nur ergreifend, viel mehr noch erklärt er mit solchen Lines eindrücklich die Herkunft der Dämonen, denen er sich täglich stellen muss. Groß!

Fazit:
Auf “Diddy” konzentriert sich AchtVier auf seine Kernkompetenz – seine Rapskills und seine Biographie, die die für Straßenrap typischen Geschichten zuhauf bereit hält. Nicht, dass er in der Vergangenheit durch Ausflüge, Experimente oder Innovation aufgefallen wäre – dennoch, so stimmig wie hier waren Inhalt und Vortrag auf keinem der Vorgängeralben. Einen erheblichen Anteil daran haben SFM-Hausproduzenten Tash08 und der für den Mix verantwortliche Basstronaut: Sie sorgen für den frischen, modernen, drückenden Instrumental-Unterbau, die ein MC mit Story & Skills eines AchtViers zwingend braucht, um vollends zur Geltung zu kommen, ohne sich aktueller musikalischer Trends zu bedienen. AchtViers größte Schwäche bleiben weiterhin die Texte. Nicht, weil sie sich meist um die gleichen Themen drehen, sondern, weil diese teils hanebüchen verpackt werden. Doch auch hier hat sich Fizzle gebessert. Durch den Fokus auf’s SFM-Camp und andere Locals (Boz, Reeperbahn Kareem) als Features wird ein Gesamtpaket geschnürt, das mehr seinem Typ entspricht. Seine Zielgruppe wird es ihm danken, das Album hat das Zeug sein bisher größter Charterfolg zu werden. Mit Alex Diehl als Gast öffnet er sich punktuell sogar anderen Zuhörern. Für den ganz großen Wurf wird es so damit trotzdem nicht reichen – dafür bleiben Album und Künstler zu eindimensional. Ein guter Vortrag der nur leicht abgewandelten Story wird für mehr größere Entwicklung auf Dauer nicht ausreichen. 7/10