5 Jahre Rap am Mittwoch: Von Begeisterung bis Fremdscham

„Macht mal Lärm, Berliiiiin“, schreit Moderator Ben Salomo in die Crowd. Das Binuu, ein Club am Schlesischen Tor in Kreuzberg, ist brechend voll. Jeden zweiten Mittwoch im Monat findet hier die „realste Cypher Deutschlands“ statt, nun wird sie fünf Jahre alt. Ein Fünfjähriger hätte bestimmt großen Spaß an  dieser Veranstaltung. Bei Rap am Mittwoch (kurz: RAM) könnte er an einem Abend seinen Schimpfwortschatz um ein Vielfaches erweitern. Zum fünften Geburtstag ist es an der Zeit, das immer erfolgreicher werdende Format unter die Lupe zu nehmen. Ist Rap am Mittwoch das letzte große Hip-Hop-Spektakel in einer Rap-Epoche, in der kaum noch einer weiß, was eine Cypher ist ? Oder nutzen  postpubertierende Jugendliche Bühne und Aufmerksamkeit nur, um sich gegenseitig „Deine Mutter-Sprüche“ an den Kopf zu werfen?

Zugegebenermaßen hat eine Cypher, also ein Freestyle von mehreren Rappern, bei deutschen Konzerten mittlerweile Seltenheitswert. Bei Rap am Mittwoch kann jeder aus dem Publikum mitmachen. Hier messen sich abenteuerlustige Alkoholisierte  mit battlebegierigen Nachwuchsrappern. Die Crowd ist dabei mal mehr, mal weniger motiviert. In der Cypher trennt sich die Spreu vom Weizen. Sie kann sogar die Geburtsstunde einer Rap-Karriere sein. Von seinen Freunden auf die Bühne geschubst, performte Selfmade-Signing Karate Andi hier seine ersten Lines. Wer in der Cypher überzeugt, darf in der Battlemania um Ruhm, Ehre und ein Preisgeld von 200 Euro kämpfen.

Die Battlemania ist die selbsternannte „Battlerapbundesliga“, es treten Bongteggy, Ssynic oder P-Zak gegeneinander an. Auch wenn diese Namen nicht jedem Rap-Fan ein Begriff sind, genießen sie in den Heiligen Hallen des alten Bahnhofsgemäuers Heldenstatus. Auge in Auge geht es darum, bei einem zugelosten Gegner blitzartig den wunden Punkt zu finden und gleichzeitig Angriffe geschickt zu kontern. Drei Mal acht Takte auf einen Beat rappen, anschließend Acapella Schlagabtausch. „Deine Mutter ist so fett, wenn ich sie fick, ist es ein Dreier.“ Oft ist die Mutter Ziel der gegnerischen Angriffe. Nicht jedem gefällt das. Das Berliner Rap-Urgestein MC Bogy rastete einst auf der RAM-Bühne aus, als sein Kontrahent Atzenkalle in seinen Lines offenbarte, sich lieber mit Bogys Mutter zu treffen, als gegen ihn zu battlen.

„In diesem Battle gehst du unter wie die Flüchtlinge im Mittelmeer“ oder „Ich verbrenn dich lebendig wie die ISIS“. Aus Tragödie wird Komödie, die Rapper nutzen harte Lines, um die Crowd in Schockstarre zu versetzen. Auch Hitler- und Nazi-Vergleiche sind immer ein probates Mittel, um das Publikum in Atem zu halten. „Intelligenzmäßig bist du mir ganz klar unterlegen, du denkst ja auch, ein Bauernhof wäre ein Pharmaunternehmen!“ Von  Fremdscham bis Belustigung oder sogar Begeisterung bedienen die Battles  alle Gefühlsebenen.

Die Tabulosigkeit, vor allem was die so innig geliebte Mutter angeht, ist wahrscheinlich der Grund, warum RAM von den meisten Straßenrappern gemieden wird. Für sie ist das Battleturnier ein rotes Tuch oder ein „Tuntentreff“, wie Bushido einmal rappte. Dabei wäre es doch eine so schöne  Beefbewältigung. Statt Stadtverboten und leeren Drohungen einfach mal das Mic in die Hand nehmen. Aber die Online-Pöbeleien auf einen Beat zu packen und sich live vorzurappen, das wäre natürlich ehrenlos.

Dass solcher Oldschoolshit durchaus Aufmerksamkeit erregen kann, bewies Laas Unldt. mit seinem Battle gegen Drob Dynamic in der Battlemania Championsleague. Hier tritt die Creme de la Creme gegeneinander an: Die battleerprobtesten Lokalmatadoren gegen überregionalbekannte Rapper.

Obwohl dem Battle zwischen Laas Unltd. und Drob Dynamic keine persönliche Fehde vorausging, zerlegte Laas seinen Gegner nach allen Regeln der Kunst. Nicht immer ist das Ergebnis so vernichtend wie bei diesem Meisterstück der deutschen Battlegeschichte.

Gerade Rapper aus den so oft kritisierten Videobattleturnieren kommen hinter der Webcam hervor und stellen sich der Herausforderung. Jüngst tourte Rap am Mittwoch durch Deutschland, in Köln lieferten sich Cashisclay, bekannt aus diversen Online-Battle-Turnieren, und Ssynic ein atemberaubendes Battle. Minutenlange Doubletimes, harte Punchlines mit viel Humor verpackt. Jede der drei Runden wäre es wert, als eigenständiger Track released zu werden.

Vergleicht  man das Niveau bei RAM mit dem Vorgänger Feuer über Deutschland fällt eine deutliche Leistungssteigerung auf. Verwunderlich, denn bei Feuer über Deutschland, das im Jahr 2006 startete, deutschlandweit bekannte Rapper, wie Casper, Marteria oder Fard teilnahmen. Haben diese Künstler also eine riesige Steigerung hinter sich oder die neue Generation eine große Karriere noch vor sich?

Obwohl Feuer über Deutschland nie stark kritisiert wurde, gab es übrigens schon damals Punchlines, so geschmacklos wie Leitungswasser. Vergleiche so simpel wie dieser.

Egal, in welche Richtung Rap am Mittwoch sich in den nächsten fünf Jahren entwickelt: Das Format schafft es, alte Hip-Hop-Werte an heranwachsende Generationen weiterzugeben und zwar nicht mit erhobenem Zeigefinger und mahnendem Blick, sondern zum Anschauen und Mitmachen. Danke dafür!

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